Die in der Handelsvertreterrichtlinie vorgesehene Ausgleichs- und Schadensersatzregelung darf keine Sanktion für die Vertragsauflösung sein, sondern soll den Handelsvertreter für die von ihm erbrachten Leistungen, aus denen der Unternehmer über die Beendigung des Vertragsverhältnisses hinaus Vorteile zieht, oder für die Kosten und Aufwendungen, die ihm für diese Leistungen entstanden sind, entschädigen. Daher darf der Ausgleich oder Schadensersatz, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, dem Handelsvertreter nicht allein deshalb versagt werden, weil die Beendigung des Handelsvertretervertrags während der Probezeit eingetreten ist. Die in Frankreich hierzu ergangene gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung verstößt gegen die Handelsvertreterrichtlinie und ist daher aufzugeben.
Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. April 2018 Aktz. C-645/16
Die Vereinbarung einer Probezeit soll zwar die Kündigung eines Handelsvertretervertrags erleichtern; gleichwohl handelt es sich bei der Kündigung eines solchen Vertrags während der darin festgelegten Probezeit um eine „Beendigung des Vertragsverhältnisses“ im Sinne der Handelsvertreterrichtlinie.
Eine Auslegung, wonach der Ausgleichsanspruch bei Vertragsbeendigung während der Probezeit entfällt, da der Vertrag im Rahmen einer Probezeit noch nicht endgültig abgeschlossen sei, findet in der Richtlinie keine Grundlage. Vielmehr besteht eine Rechtsbeziehung zwischen einem Handelsvertreter und einem Unternehmer ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Vertrag über die Vermittlung des Verkaufs oder des Ankaufs von Waren oder den Abschluss dieser Geschäfte für Rechnung des Unternehmers abgeschlossen wurde, unabhängig davon, ob dieser Vertrag eine Probezeit enthält. Folglich sind die Vorschriften der Richtlinie anwendbar, sobald ein solcher Vertrag zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter abgeschlossen worden ist, auch wenn er eine Probezeit vorsehen sollte.
Aus der Handelsvertreterrichtlinie ergibt sich, dass die dort vorgesehene Ausgleichs- und Schadensersatzregelung keine Sanktion für die Vertragsauflösung sein darf, sondern den Handelsvertreter für die von ihm erbrachten Leistungen, aus denen der Unternehmer über die Beendigung des Vertragsverhältnisses hinaus Vorteile zieht, oder für die Kosten und Aufwendungen, die ihm für diese Leistungen entstanden sind, entschädigen soll. Daher darf der Ausgleich oder Schadensersatz, wenn ihre Voraussetzungen erfüllt sind, dem Handelsvertreter nicht allein deshalb versagt werden, weil die Beendigung des Handelsvertretervertrags während der Probezeit eingetreten ist.
Weiterhin sind die Fälle, in denen kein Ausgleichs- oder Schadensersatzanspruch besteht, in der Richtlinie abschließend aufgeführt. Die Beendigung der Probezeit wird dort nicht erwähnt. Darüber hinaus sind die in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Anspruch auf Ausgleich und auf Schadensersatz eng auszulegen. Infolgedessen kann sie nicht in einer Weise ausgelegt werden, die darauf hinausliefe, dass ein dort nicht ausdrücklich vorgesehener Grund für den Ausschluss des Ausgleichs- oder des Schadensersatzanspruchs hinzukommt. Die Verneinung eines Ausgleichs- oder Schadensersatzanspruchs im Fall der Beendigung des Vertragsverhältnisses während der Probezeit liefe aber gerade darauf hinaus, einen in der Richtlinie nicht vorgesehenen Ausschlussgrund zuzulassen. Zum anderen verbietet die Richtlinie den Parteien, vor Ablauf des Vertrags Vereinbarungen zu treffen, die zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen. Es läge jedoch eine solche Abweichung zum Nachteil des Handelsvertreters vor, wenn an die Vereinbarung einer Probezeit in einem Handelsvertretervertrag ein Ausschluss des Anspruchs auf Ausgleich und auf Schadensersatz geknüpft würde. Die Gewährung oder Versagung einer Entschädigung für den Handelsvertreter würde nämlich bei gleicher Leistung nur davonabhängen, ob im Handelsvertretervertrag eine Probezeit vereinbart wurde.
Der Europäische Gerichtshof hat außerdem klargestellt, dass in Anbetracht des Ziels der Richtlinie, der Schutz des Handelsvertreters in seiner Beziehung zum Unternehmer, jede Auslegung, die sich für den Handelsvertreter als nachteilig erweisen könnte, ausgeschlossen ist.
Die Auslegung, wonach im Fall der Beendigung des Handelsvertretervertrags während der Probezeit kein Ausgleichsanspruch besteht, ist mit dem zwingenden Charakter der Ausgleichs- und Schadensersatzregelung der Richtlinie nicht vereinbar. Eine solche Auslegung, die darauf hinausläuft, die Gewährung einer Entschädigung entgegen dieser Bestimmung ohne Berücksichtigung der Leistung des Handelsvertreters oder der ihm entstandenen Kosten und Aufwendungen davon abhängig zu machen, ob im Handelsvertretervertrag eine Probezeit vereinbart wurde, ist ebenfalls eine Auslegung zum Nachteil des Handelsvertreters, dem jegliche Entschädigung nur deshalb versagt würde, weil sein Vertrag mit dem Unternehmer eine Probezeit enthält.