Zur Abgrenzung von Selbstständigen und Angestellten ist weder isoliert auf die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrags oder die von diesen gewählte Bezeichnung als Angestellter oder Handelsvertreter noch alleine auf die tatsächliche Durchführung des Vertrags abzustellen. Entscheidend ist vielmehr gemäß der sog. Schwerpunkttheorie das Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und der tatsächlichen Handhabung.
Urteil des LAG Köln vom 13.02.2019 – Aktz. 9 Ta 229/18
Im vorliegenden Fall war zwischen den Parteien streitig, ob der Kläger, dessen Aufgabe die Vermittlung von Aufträgen im Namen der Beklagten war, ohne dass er zur rechtgeschäftlichen Vertretung der Beklagten berechtigt gewesen ist, als Arbeitnehmer oder als selbständiger Handelsvertreter für die Beklagte gehandelt hat. Handelsvertreter sind gemäß § 84 Abs. 1 HGB selbständig und deshalb grundsätzlich nicht Arbeitnehmer. Als Angestellter und damit gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG als Arbeitnehmer gilt gemäß § 84 Abs. 2 HGB aber derjenige, der, ohne selbständig im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist nach § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Die Richter des LAG Köln hoben hervor, dass bei der Abgrenzung zwischen Selbständigen und Unselbständigen weder isoliert auf die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrags oder die von diesen gewählte Bezeichnung als Angestellter oder Handelsvertreter noch allein auf die tatsächliche Durchführung des Vertrags abzustellen sei. Entscheidend sei vielmehr gemäß der sog. Schwerpunkttheorie das Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und der tatsächlichen Handhabung.
Im vorliegenden Fall sprachen die Gesamtumstände bei der gebotenen Gesamtabwägung nach Auffassung der Richter des Landesarbeitsgerichtes Köln (LAG) für ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien. Denn der Kläger sei letztlich nicht selbständig i.S.d. § 84 Abs. 1 HGB für die Beklagte tätig gewesen, auch wenn manche Umstände, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen habe, durchaus gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses gesprochen hätten.
Dass der Kläger im Vertrag als „Freiberufler“ bezeichnet wurde, sei für die Abgrenzung nicht entscheidend. Die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrags als freie Tätigkeit oder die von ihnen gewählte Bezeichnung sei unerheblich, solange sich die praktische Durchführung anders darstelle. Der jeweilige Vertragstyp ergebe sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Der objektive Geschäftsinhalt sei aus den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, sei letztere maßgebend.
Auch der Umstand, dass der Kläger über eine eigene Homepage verfügt, belege kein selbständiges, unternehmerisches Auftreten am Markt. Denn die Homepage enthalte keine Angaben zur Tätigkeit des Klägers für die Beklagte. Die Homepage beschäftige sich im Wesentlichen mit Infrarotheizungen. Aus ihr ergebe sich jedenfalls nicht, dass der Kläger als Handelsvertreter tätig sei und dass die Beklagte zu den von ihm vertretenen Unternehmen gehöre.
Ebenfalls die Art der Rechnungsstellung durch den Kläger und die Ausweisung der Umsatzsteuer begründeten nicht die Annahme einer selbständigen Tätigkeit. Denn sie seien allein Ausfluss des Umstandes, dass die Parteien formal eine selbständige Tätigkeit des Klägers vereinbaren wollten und es sich bei den in Rechnung gestellten Beträgen um steuerbare Umsätze i. S. d. §§ 1, 14 UStG handeln sollte.
Des Weiteren sei der von der Beklagten vorgetragene Umstand, dass die Vergütung des Klägers so hoch gewesen sei, dass sie, wäre sie sozialversicherungspflichtig, über der ihres Geschäftsführers liegen würde, für die Abgrenzung zwischen einer freien und einer weisungsgebundenen Tätigkeit unerheblich, weil sich aus der Höhe der Vergütung – auch im Verhältnis zu Vorgesetzten – zunächst kein Anhaltspunkt für eine (fehlende) Selbständigkeit gebe. Die Vereinbarung von Entgelten sei, abgesehen von gesetzlichen Vergütungsordnungen, Sache der Vertragspartner und Teil der Privatautonomie. Ein gewichtiges Indiz für selbstständige Tätigkeit bejahe das Bundessozialgericht erst dann, wenn das vereinbarte Honorar deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten liege und dadurch eine Eigenvorsorge zulasse. Das sei vorliegend aber nicht der Fall. Das Jahresfixum habe lediglich 42.000,00 EUR zzgl. USt. Betragen.
Ohne maßgebliche Bedeutung für die Abgrenzung zwischen einer selbständigen und einer weisungsgebundenen Tätigkeit sei der vom Kläger für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses angeführte Umstand, dass er monatlich über seine Tätigkeiten und die allgemeine Marktentwicklung zu berichten hatte. Derartige Berichtspflichten können sich zwar aus einem Arbeitsvertrag ergeben. Sie beschränkten einen Handelsvertreter bei der Gestaltung seiner Tätigkeit aber nicht in einem Maße, das dies mit dem Selbständigenstatus nicht mehr zu vereinbaren wäre. Denn auch nach § 86 Abs. 2 HGB habe der Handelsvertreter dem Unternehmer die erforderlichen Nachrichten zu geben, namentlich ihm von jeder Geschäftsvermittlung und von jedem Geschäftsabschluss unverzüglich Mitteilung zu machen. Über die Berichtspflichten eines selbständigen Handelsvertreters gingen die vom Kläger verlangten Monatsberichte nicht hinaus.
Für eine selbständige Tätigkeit des Klägers sprachen nach Ansicht der Richter des LAG Köln jedoch, dass er ein eigenes Büro unterhalten hat und berechtigt war, für andere Unternehmen zu arbeiten. Insgesamt war er auch nur wenigen Weisungen seitens der Beklagten ausgesetzt, die sich etwa auf Ortsvorgaben bezüglich der Akquisitionstätigkeit oder bestimmte anzubietende Produkte bezogen hätten, auch wenn sich der Geschäftsführer der Beklagten ihm gegenüber als „sein Chef“ benommen haben soll.
Der Kläger sei zudem nach den vertraglichen Regelungen in der Gestaltung seiner Arbeitszeit im Wesentlichen frei gewesen. Bei der Arbeitszeithoheit handele es sich um einen wichtigen Abgrenzungsgesichtspunkt. Dies ergebe sich aus § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB, wonach selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Vertrag zwischen den Parteien habe keinerlei Regelungen zu Beginn und Ende einer täglichen Arbeitszeit enthalten. Der Kläger hätte keine festen Arbeitszeiten gehabt.
Dieser Umstand werde jedoch durch andere Gesichtspunkte in seiner Bedeutung relativiert.
Das Maß der Freiheit in der Arbeitszeitgestaltung sei bei Handelsvertretern zwangsläufig abhängig von der Branche und den Kunden. So müssten Handelsvertreter, die – wie der Kläger – Unternehmen in einem größeren örtlichen Umkreis betreuen, auf deren Termine Rücksicht nehmen, so dass ihnen kaum Vorgaben bezüglich der Arbeitseinteilung gemacht werden könnten.
Von Bedeutung sei auch, dass der Kläger sich vertraglich zu einem Mindestumsatz verpflichtet hatte. Die Festlegung eines Mindestsolls beschränke den Betroffenen aber erheblich in der freien Bestimmung seiner Arbeitsdauer. Mit einem Selbständigenstatus ließen sich entsprechende Vorgaben nur vereinbaren, wenn dem Betroffenen mit Blick auf die notwendige Arbeitszeit ein erheblicher Spielraum verbleibe. Hiervon könne nicht mehr ausgegangen werden, nachdem die Parteien vereinbart hatten, dass der Kläger an vier Tagen in der Woche für die Beklagte tätig sein und zwei Arbeitstage in deren Betrieb verbringen musste, und gleichwohl nicht den geforderten Mindestumsatz erbracht habe.
Gegen eine selbständige Handelsvertretertätigkeit des Klägers spreche ebenfalls die Ausgestaltung seiner materiellen Ansprüche, die stark denen eines Arbeitnehmers angeglichen seien und nicht dem gesetzlichen Leitbild eines Handelsvertreters oder eines Freiberuflers entsprächen.
Die vertraglichen Regelungen richteten sich zwar an den gesetzlichen Bestimmungen des Handelsvertreterrechts aus, stimmten mit ihnen jedoch nicht vollständig überein. So fehle etwa Anspruch auf einen angemessenen Vorschuss, wie ihn § 87a Abs. 1 Satz 2 HGB vorsieht. Auch von einem für selbständige Handelsvertreter wichtigen Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB) sei im Vertrag keine Rede. Ebenso fehle eine § 87a Abs. 3 HGB entsprechende Regelung, wonach der Provisionsanspruch bestehen bleibt, wenn feststeht, dass der Unternehmer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist. Stattdessen habe der Kläger einen für einen Handelsvertretervertrag untypischen Anspruch auf ein monatliches Fixum von 3.500,00 EUR zzgl. USt, das nicht mit einem Provisionsanspruch verrechnet werde. Der Vertrag sehe damit im Gegensatz zu einem typischen Handelsvertretervertrag eben nicht eine rein erfolgsabhängige Vergütung in Form von Vermittlungsprovisionen für alle während der Vertragslaufzeit vom Unternehmen mit Vertragskunden im Vertragsgebiet abgeschlossenen und ausgeführten Verträge vor.
Ganz im Gegenteil, dem Kläger habe eine Vergütung laut Vertrag auch für die Zeiten zugestanden, in denen er durch Unfall, Erkrankung oder vergleichbare Ereignisse an der Ausübung seiner Tätigkeit gehindert gewesen sei. Dass der Kläger im Falle der Erkrankung auf das Fixum zurückfalle und die Kündigung des Vertrages riskierte, falle demgegenüber nicht ins Gewicht. Denn der Kläger habe jedenfalls einen vergleichsweise hohen Vergütungsanspruch behalten. Die Gefahr einer krankheitsbedingten Kündigung bestehe auch in einem Arbeitsverhältnis. Ungewöhnlich für einen Handelsvertretervertrag, hingegen aber typisch für ein Arbeitsverhältnis sei auch ein vertraglich vorgesehener Urlaubsanspruch. Dies gelte unabhängig davon, ob der Urlaub, wie es § 7 Abs. 1 BUrlG vorsehe, gewährt bzw. genehmigt oder, wie es die Beklagte vorgetragen habe, nur mit ihr abgesprochen wurde.
Gegen eine selbständige Tätigkeit des Klägers spreche zudem, dass sein unternehmerisches Risiko insgesamt stark eingeschränkt gewesen sei. So stehe dem Kläger laut Vertrag ein „Dienstwagen wenigstens Golfklasse Kombi mit Fullservice (Steuer, Versicherung, Inspektionen, Wartung, Reparaturen, Reifenwechsel, Ölwechsel, Tankkarte/Kreditkarte für Sprit etc.) auch mit dem Recht zur uneingeschränkten privaten Nutzung“ zu. Hinzu komme, dass der Kläger ein Laptop gestellt bekommen habe. Wer etwa, wie der Kläger, ohne nennenswertes eigenes Kapital sein Betriebskapital vom Auftraggeber gegen Entgelt gestellt bekomme, in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sei und in zeitlicher sowie örtlicher Hinsicht weisungsgebunden arbeite, ohne unternehmerisch am Markt aufzutreten, der könne nicht mehr als selbstständiger Unternehmer angesehen werden.
Dass die Stellung des Klägers mehr einem Arbeitnehmer als der eines Selbständigen entsprach, zeige sich schließlich maßgeblich an dem Umstand, dass er seine Dienste laut Vertrag persönlich zu erbringen hatte und keine Hilfspersonen hinzuziehen durfte. Die Pflicht, die Leistung grundsätzlich persönlich zu erbringen, sei ein typisches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis, wohingegen die Befugnis zum Einsatz von Untervertretern und/oder Hilfspersonen ein Indiz für eine selbständige Tätigkeit darstelle. Schalte ein Mitarbeiter tatsächlich Dritte zur Leistungserbringung – nicht nur ausnahmsweise – ein, führe dies regelmäßig zur Verneinung eines Arbeitsverhältnisses. Siehe der Vertrag jedoch die Befugnis zum Einsatz von Hilfspersonen vor, stelle die Möglichkeit, Dritte einzuschalten, eines von mehreren im Rahmen der Gesamtabwägung zu beachtenden Kriterien dar.
Insgesamt sprachen daher für die Richter der 9. Kammer des LAG Köln die gewichtigeren Gründe für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, so dass für den weiteren Rechtstreit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet war.