Nur wenn zwischen den Parteien Umstände streitig sind, die sowohl für die Rechtswegzuständigkeit als auch für die Begründetheit der Klage maßgebend sind – sog. doppelrelevante Tatsachen, muss zur Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges kein Beweis erhoben, sondern es kann der klägerische Vortrag zu Grunde gelegt werden.
Da die Zahlung von Arbeitsentgelt grundsätzlich auch auf Provisionsbasis zulässig ist und die Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft des Beklagten damit allein einen Anspruch der Rückzahlung überzahlter Provisionen nicht ausschließt, ist das Fehlen der Arbeitnehmereigenschaft des Beklagten kein notwendiges Tatbestandsmerkmal der von der Klägerin geltend gemachten Rückzahlungsansprüche, sodass die Bejahung des Anspruchs begrifflich nicht diejenige der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte mit einschließt.
Eine durchzuführende Gesamtwürdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrages ist dann fehlerhaft, wenn für die Rechtswegentscheidung wesentliche, zwischen den Parteien streitige Umstände nicht aufgeklärt wurden.
Beschluss des OLG München vom 09.12.2019 – Aktz. 7 W 1470/19
Nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand konnten die Richter des 7. Senats des OLG München nicht ausschließen, dass zwischen den Parteien ein selbständiges Handelsvertreterverhältnis bestanden hat und deshalb nach dieser Vorschrift die ordentlichen Gerichte zuständig sind. Denn die Rechtsansicht des Landgerichts, wonach bereits schlüssiger Sachvortrag des Beklagten zu seiner Arbeitnehmereigenschaft für die Eröffnung des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten ausreiche, sei ebenso unzutreffend wie die Ansicht der Klägerin, wonach sich das Gericht grundsätzlich nach dem Vortrag der Klägerin zu richten habe.
Als Angestellter – und damit gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG als Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG – gilt gemäß § 84 Abs. 2 HGB derjenige, der, ohne selbständig im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist nach § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Bei der Abgrenzung zwischen Selbständigen und Unselbständigen ist weder isoliert auf die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrags oder die von diesen gewählte Bezeichnung als Angestellter oder Handelsvertreter noch allein auf die tatsächliche Durchführung des Vertrags abzustellen. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse unter Würdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrages.
Bei den zwischen den Parteien streitigen Umständen – Eingliederung des Beklagten in den Betrieb der Klägerin – handele es sich nicht um Tatsachen, die sowohl für die Rechtswegzuständigkeit als auch für die Begründetheit der Klage maßgebend seien. Nur über solche doppelrelevanten Tatsachen müsse zur Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges kein Beweis erhoben, sondern der klägerische Vortrag zu Grunde gelegt werden. Im streitgegenständlichen Fall sei das Fehlen der Arbeitnehmereigenschaft des Beklagten aber kein notwendiges Tatbestandsmerkmal der von der Klägerin geltend gemachten Rückzahlungsansprüche, sodass die Bejahung des Anspruchs begrifflich nicht diejenige der Zuständigkeit in sich schließe. Die Zahlung von Arbeitsentgelt sei grundsätzlich auch auf Provisionsbasis zulässig. Deshalb würde die Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft des Beklagten allein einen Anspruch der Rückzahlung überzahlter Provisionen nicht ausschließen, mögen für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis auch weitergehende Einschränkungen gelten und deshalb die behauptete Arbeitnehmereigenschaft des Beklagten – sofern sie zu bejahen sei – auch bei der Begründetheit der Klage zu berücksichtigen sein.
Die nach dem oben Gesagten durchzuführende Gesamtwürdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrages habe das Landgericht fehlerhaft vorgenommen und für die Entscheidung wesentliche, zwischen den Parteien streitige Umstände nicht aufgeklärt.
Die in den „Allgemeinen Bestimmungen“ enthaltenen Vorgaben zu Erfassungsbögen und Anträgen sowie die unstreitigen Vorgaben zu Beratungsdokumentationen begründeten keine Arbeitnehmereigenschaft des Beklagten. Denn schon kraft Gesetzes (§§ 675, 665 BGB) habe der Vertreter allgemeine Weisungen in Bezug auf den Inhalt seiner Tätigkeit zu befolgen. Dabei dürfe in der Versicherungswirtschaft wegen der außerordentlichen Vielgestaltigkeit und Schwierigkeit des Versicherungsrechts und der sehr hohen finanziellen Risiken der Rahmen für zulässige Weisungen nicht zu eng gezogen werden. Mit dem Selbstständigenstatus eines Handelsvertreters sei es also durchaus vereinbar, dass er einem Weisungsrecht unterliegt. Ebenso sei es mit dem Selbstständigenstatus vereinbar, wenn die Weisungsrechte im Vertrag konkretisiert werden.
Eine Pflicht des Vertreters, dem Versicherungsunternehmen die Kundenberatungsbögen vorzulegen, hindere die Annahme einer selbständigen Tätigkeit ebenfalls nicht. Eine ins Einzelne gehende Berichtspflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin, die für eine Arbeitnehmereigenschaft des Beklagten sprechen würden, habe der Beklagte nicht vorgetragen.
Fehlerhaft sei es auch, wenn das Landgericht zur Bejahung einer Arbeitnehmereigenschaft darauf abgestellt habe, dass der Beklagte Produkte der Klägerin nur in der ihm von der Klägerin vorgegebenen Form habe vermitteln dürfen, ohne Einfluss auf deren Auswahl zu haben. Denn den Inhalt des Vertragsangebots bestimme allein das Versicherungsunternehmen.
Auch die vorherige Abstimmung von Werbemaßnahmen des Beklagten mit der Klägerin spreche nicht gegen eine selbständige Tätigkeit des Beklagten.
Ebenfalls das im Vertrag enthaltene Wettbewerbsverbot sei für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit unerheblich.
Gleiches gelte für den fehlenden Gebiets- und Kundenschutz des Beklagten. Dies sei für selbständige Versicherungsvertreter nämlich nicht ungewöhnlich, zumal das Gesetz anders als beim Handelsvertreter in § 87 Abs. 2 S. 1 HGB im Falle des Versicherungsvertreters ohnehin keinen Bezirksschutz vorsieht (§ 92 Abs. 3 S. 2 HGB).
Dem Kläger war auch weder die Beschäftigung von selbständigen Untervertretern noch von unselbständigen Arbeitnehmern verboten. Eine solche tatsächliche Beschäftigung von Untervertretern sei jedoch ein gewichtiges Indiz für eine selbständige Tätigkeit.
Diesem Aspekt sei das Landgericht jedoch verfahrensfehlerhaft ebenso wenig nachgegangen wie der Frage nach einer freien Arbeitszeiteinteilung. Mangels Aufklärung des Sachverhalts hinsichtlich der Beschäftigung von Untervertretern durch den Beklagten wäre die Sache noch nicht entscheidungsreif gewesen, so dass den durch neues Vorbringen strittigen Fragen der freien oder unfreien Bestimmung der Arbeitszeit des Beklagten sowie der Produktionsvorgaben ebenso nachzugehen gewesen wäre.
Die Aufklärung dieser Umstände sei auch nicht entbehrlich gewesen, da sich die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen vorliegend nicht schon aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG in Verbindung mit § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG ergebe. Nach dieser Vorschrift gelten selbständige Handelsvertreter (nur) dann als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmens festgesetzt werden kann, und wenn sie während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses, bei kürzerer Vertragsdauer während dieser, im Durchschnitt nicht mehr als 1.000 € aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen haben. Diese durchschnittliche monatliche Verdienstgrenze sei vom Beklagten unstreitig überschritten worden.