Fällt das erste Geschäft des Unternehmers mit einem bestimmten Kunden in die Vertragszeit des als Bezirksvertreter eingesetzten Handelsvertreters, spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Tätigkeit des Handelsvertreters für die Werbung dieses Kunden mitursächlich war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Handelsvertreter auf vielfältige Art und Weise bei einem Gebietskunden zu einem Geschäftserfolg auch dann beigetragen haben kann, wenn dieses Geschäft zunächst ohne ihn angebahnt oder vorbereitet wurde. Bei einem Vertrieb ausschließlich an Großhändler ist es im Übrigen naheliegend, dass fast alle (Großhändler-) Kunden, die Produkte des vertretenen Unternehmers in ihr Sortiment aufgenommen haben, nicht nur ein einziges Mal bestellen, sondern wiederholt Geschäfte abschließen werden. Bei der weiteren Berechnung des Ausgleichsanspruches können bei der Billigkeitsprüfung zum einen die Sogwirkung einer Marke und zum anderen grundsätzlich auch Umsatzverluste des Unternehmers durch eine Konkurrenztätigkeit des Handelsvertreters nach Ende des Vertrages eine Rolle spielen.
Urteil des OLG Karlsruhe vom 14. Juli 2017 Aktz. 9 U 9/15
Für das Tatbestandsmerkmal der „Werbung“ eines neuen Kunden gemäß § 89 b Absatz 1 Ziffer 1 HGB ist es nicht erforderlich, dass der erste Geschäftsabschluss mit dem neuen Kunden allein auf die Tätigkeit des Handelsvertreters zurückgeht. Es reicht vielmehr aus, dass die Tätigkeit des Handelsvertreters mitursächlich ist. Hierbei sind an die Mitverursachung eines Geschäfts durch den Handelsvertreter grundsätzlich geringe Anforderungen zu stellen. Wenn feststeht, dass das erste Geschäft des Unternehmers mit einem bestimmten
Kunden während der Vertragszeit des Handelsvertreters abgeschlossen wurde, spricht grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für eine Mitursächlichkeit der Werbung durch den Handelsvertreter. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Handelsvertreter auf vielfältige Art und Weise bei einem Gebietskunden zu einem Geschäftserfolg auch dann beigetragen haben kann, wenn dieses Geschäft zunächst ohne ihn angebahnt oder vorbereitet wurde. Wenn ein Handelsvertreter nach einer anderweitigen Anbahnung durch zusätzliche Informationen gegenüber dem Kunden, durch Erläuterung eines bereits vorliegenden Angebots, oder auch durch ein bloßes „Nachhaken“, tätig wird, ist es ohne weiteres möglich, dass eine solche Tätigkeit für den Geschäftsabschluss entscheidend wird.
Im Rahmen der Beweiswürdigung war für die Richter des OLG Karlsruhe daher von erheblicher Bedeutung, dass während der Vertragszeit zwischen den Parteien unstreitig Geschäfte mit vom Handelsvertreter angegebenen Kunden abgeschlossen wurden. Nach Auffassung der Richter müsse im Rahmen der Beweiswürdigung für diese Kunden von einer Neukundeneigenschaft (erster Geschäftsabschluss nach dem 01.04.1993, dem Beginn der Handelsvertretertätigkeit) ausgegangen werden, wenn und soweit keine konkreten Anhaltspunkte für ein erstes Geschäft vor dem 01.04.1993 vorlägen. Maßgeblich für die Werbung eines Neukunden sei der jeweilige Geschäftsabschluss. Anfragen,
Angebote, Werbung, Gespräche und Verhandlungen, die mit bestimmten Kunden möglicherweise vor dem 01.04.1993 bereits stattgefunden hätten, spielten insoweit keine Rolle, wenn solchen Vorbereitungen noch nicht zu einem Geschäft vor dem 01.04.1993 geführt hätten.
Wenn ein erstes Geschäft nach dem 01.04.1993 abgeschlossen worden sei, reichten bestimmte vom vertretenen Unternehmen vorgelegte Unterlagen zu einer Geschäftsanbahnung ohne den Handelsvertreter grundsätzlich nicht aus, um den Anscheinsbeweis einer Mitverursachung des Geschäfts durch den Handelsvertreter zu erschüttern. Denn aus Schriftverkehr zwischen der Vertriebszentrale des vertretenen Unternehmens und dem jeweiligen Kunden ergebe sich nicht, welche Aktivitäten gegenüber diesem Kunden – gleichzeitig – vom Handelsvertreter entfaltet worden seien. Der Anscheinsbeweis für eine Mitverursachung wäre allerdings dann erschüttert, wenn davon auszugehen wäre, dass der Handelsvertreter einen bestimmten Kunden vor Abschluss des ersten Geschäftes überhaupt nicht gekannt hätte. Ein solcher Sachverhalt liege allerdings für keinen der bei der Ausgleichsberechnung berücksichtigten Neukunden vor. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises sei damit davon auszugehen, dass der Handelsvertreter die ersten Geschäftsabschlüsse zumindest mitverursacht habe, da er bereits als Handelsvertreter für den entsprechenden Bezirk tätig war.
Maßgeblich für die im Rahmen von § 89 b HGB zu schätzenden Vorteile des Unternehmers sind nur Geschäfte mit Stammkunden, bei denen der Unternehmer auch in der Zukunft mit weiteren Geschäften rechnen kann. Die Richter de 9. Senats schätzten die Stammkundenquote
entsprechend der Abrechnung des Handelsvertreters auf über 99 Prozent. Dieser Prozentsatz ergebe sich aus der unstreitigen Aufstellung über Provisionszahlungen im letzten Vertragsjahr. Die Einwendungen des Unternehmers bezögen sich nicht auf die Frage, welche Kunden als Stammkunden anzusehen seien, sondern auf die Unterscheidung zwischen Altkunden und Neukunden. Bei einem Vertrieb ausschließlich an Großhändler sei es im Übrigen naheliegend, dass fast alle (Großhändler-) Kunden, die Produkte des vertretenen Unternehmens in ihr Sortiment aufgenommen haben, nicht nur ein einziges Mal bestellten, sondern wiederholt Geschäfte mit dem Unternehmen abschließen würden.
Die Richter zogen bei der weiteren Ausgleichsberechnung allerdings einen Billigkeitsabschlag unter zwei Aspekten in Betracht. Zum einen für die sogenannte Sogwirkung der Marke des Herstellerunternehmens. Ein Billigkeitsabschlag für die Sogwirkung der Marke „S.“ erschien grundsätzlich gerechtfertigt, weil es sich um ein Markenprodukt handelte, so dass die Bedeutung der Werbung durch den Handelsvertreter für die Unternehmervorteile etwas geringer angesetzt werden könne. Zugunsten des Handelsvertreters sei dabei allerdings zu berücksichtigen, dass er allein aufgrund der zeitlichen Dauer seiner Tätigkeit ab April 1993 erheblich zu Etablierung der Marke in dem ihm zugewiesenen Vertragsgebiet beigetragen habe.
Zum anderen käme ein Billigkeitsabschlag in Betracht, weil der Handelsvertreter ca. 2,5 Monate nach dem Ende des Handelsvertretervertrages mit dem zuvor vertretenen Unternehmen wiederum als Handelsvertreter Konkurrenzprodukte vertrieben habe. Diese aufgenommene Konkurrenztätigkeit sei zwar bei der Billigkeitsabwägung grundsätzlich ebenfalls zu berücksichtigen, da diese Konkurrenztätigkeit die vom vertretenen Unternehmen aus der Vertragsbeziehung mit dem Handelsvertreter gewonnen Vorteile möglicherweise nach Beendigung der Vertragsbeziehung vermindert habe. Allerdings sei ein mit dieser Konkurrenztätigkeit verbundener besonderer Umsatzverlust des Unternehmens nicht ersichtlich und darüber hinaus nicht dargelegt worden.