Die Überlassungspflicht des § 86 a Abs.1 HGB betrifft sämtliche Gegenstände, die der Handelsvertreter zur Ausübung seiner Tätigkeit benötigt. Erforderliche Unterlagen sind daher diejenigen Gegenstände, deren der Handelsvertreter bedarf, um den Kunden zum Abschluss des Vertrages mit dem Unternehmer zu motivieren.

Der Begriff der „Unterlagen“ im Sinne von § 86 a Abs. 1 HGB ist weit auszulegen. Hiervon erfasst werden auch sonstige Sachen, die der Handelsvertreter speziell zur Anpreisung bei der Kundschaft benötigt, z. B. sonstiges Werbematerial, Musterstücke, Musterkollektion. Die Aufzählung ist schon ausweislich des Wortlauts der Norm nur beispielhaft. Auch EDV Softwareprogramme können im konkreten Einzelfall zu den von der Norm erfassten Unterlagen gehören, wenn die Aufgaben des Handelsvertreters die Verwendung nötig machen und die Überlassung branchenüblich ist. Ist ein EDV-System für die Übermittlung der Preisdaten an den Handelsvertreter erforderlich, muss dieses System dem Handelsvertreter kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Gleiches gilt für aus Software und Hardware bestehenden Systemen sowie für spezielle Software für den Zugang zu den für die Vermittlung erforderlichen aktuellen Unternehmensdaten.

Der Begriff der „Erforderlichkeit“ ist restriktiv auszulegen. Erforderlich ist, was objektiv zur Tätigkeit benötigt wird.

 OLG Köln, Urteil vom 9. Dezember 2022 – 19 U 21/22

 

Die Parteien des Rechtstreites waren in einem Handelsvertretervertragsverhältnis verbunden, nach welchem die Klägerin für die Beklagte Telekommunikations-Verträge im Standortvertrieb vermittelte. Das Vertragsverhältnis endete zum 31.3.2020. Die klagende Handelsvertreterin behauptete, sie habe seit 2017 bis zur Vertragsbeendigung an das beklagte Unternehmen monatliche Kostenbeteiligungen in Höhe von insgesamt 92.820 € bezahlt. Sie hatte die Ansicht vertreten, das Unternehmen sei zur Erstattung der geleisteten Zahlungen verpflichtet. Die Regelung zur Kostenbeteiligung enthalte viele Positionen, die eindeutig spezifisch für den Vertrieb der Produkte der Beklagten und daher nach § 86 a Abs. 1 HGB unabdingbar kostenlos zu stellen seien. Hierbei handele es sich um die Einrichtung der Arbeitsplatzsysteme inklusive Kasse und den Leitungsanschluss mit Prüfsystemen für die Auftragsübermittlung, die spezifischen IT-Systeme und deren Unterhaltung, die Unternehmenskleidung und das spezielle werbliche Inventar.

Das beklagte Unternehmen hat die Ansicht vertreten, von § 86 a Abs. 1 HGB seien in analoger Anwendung nur solche Unterlagen und Informationen erfasst, auf die der Handelsvertreter zur Vermittlung oder zum Abschluss der den Gegenstand des Handelsvertretervertrags bildenden Verträge angewiesen sei. Eine Anwendung des Begriffs der „erforderlichen Unterlagen“ komme vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des OLG Hamm (gemäß Urteil vom 9.11.2020 – Aktenzeichen 18U9317 18 U 93/17) überhaupt nur für „Übertragungs- und Bereitstellungsfunktionen“ im Rahmen einer digitalen bzw. elektronischen Bereitstellung in Betracht. Bei den von der Klägerin genannten Leistungen der Beklagten handele es sich um klassische Kosten des Geschäftsbetriebs des Handelsvertreters, die üblicherweise durch diesen selbst aufzubringen seien. Dies gelte auch für das Kassensystem, das für den Betrieb eines Ladenlokals denknotwendig benötigt werde, ohne dass dies in Besonderheiten der Produkte und Dienstleistungen der Beklagten begründet sei. Es handele sich sowohl hinsichtlich der zur Verfügung gestellten Hardware, als auch hinsichtlich der Kassensoftware um ein am Markt frei verfügbares Standard-Kassensystem. Über das Kassensystem würden – außer der Übermittlung der Preise – auch keine anderweitigen produktbezogenen Informationen, werbliches Material, Prospekte oder Ähnliches übermittelt, die als Unterlagen im Sinne des § 86 a Abs. 1 HGB angesehen werden könnten. Allenfalls die Übermittlungsfunktion der Software, mit der die Preise in das Kassensystem übertragen würden, komme als gemäß § 86 a Abs. 1 HGB kostenfrei bereitzustellende Funktionalität in Betracht.

Die Richter des 19. Senates des OLG Köln bejahten den Rückforderungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB in voller Höhe. Die zwischen den Parteien vereinbarte monatliche Kostenbeteiligung der Standortvereinbarung sei wegen Verstoßes gegen § 86 a Abs. 1 BGB gemäß § 86 a Abs. 3 HGB unwirksam.

Die Überlassungspflicht des § 86 a Abs.1 HGB betreffe sämtliche Gegenstände, die der Handelsvertreter zur Ausübung seiner Tätigkeit benötige. Erforderliche Unterlagen seien daher diejenigen Gegenstände, deren der Handelsvertreter bedarf, um den Kunden zum Abschluss des Vertrages mit dem Unternehmer zu motivieren.

Dabei sei der Begriff der „Unterlagen“ im Sinne von § 86 a Abs. 1 HGB weit auszulegen Hiervon erfasst würden auch sonstige Sachen, die der Handelsvertreter speziell zur Anpreisung bei der Kundschaft benötigt, z. B. sonstiges Werbematerial, Musterstücke, Musterkollektion. Die Aufzählung sei schon ausweislich des Wortlauts der Norm nur beispielhaft. Auch EDV Softwareprogramme könnten im konkreten Einzelfall zu den von der Norm erfassten Unterlagen gehören, wenn die Aufgaben des Handelsvertreters die Verwendung nötig machen und die Überlassung branchenüblich sei. Sei ein EDV-System für die Übermittlung der Preisdaten an den Handelsvertreter erforderlich, müsse dieses System dem Handelsvertreter kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Gleiches gelte für aus Software und Hardware bestehenden Systemen sowie für spezielle Software für den Zugang zu den für die Vermittlung erforderlichen aktuellen Unternehmensdaten.

Der Begriff der „Erforderlichkeit“ sei hingegen restriktiv auszulegen. Erforderlich sei, was objektiv zur Tätigkeit benötigt werde. Die Unterlage müsse für die spezifische Anpreisung der Ware unerlässlich oder unverzichtbar sein. Dies ergebe sich bereits aus einer Betrachtung der in § 86 a Abs. 1 HGB genannten Beispiele – hierbei handele es sich um Unterlagen, die einen engen Bezug zum vertriebenen Produkt besitzen und ohne die keine erfolgreiche Vermittlung möglich sei. Auch die Stellung des Handelsvertreters als selbstständiger Unternehmer lege eine enge Auslegung nahe. Die eigentliche Vertriebstätigkeit, also die von ihm zu entfaltenden Bemühungen zur Herbeiführung der Vertragsschlüsse, auf die der Handelsvertretervertrag gerichtet sei, obliege ihm als selbstständigem Unternehmer. Ihn treffe insoweit das handelsvertretertypische Risiko, dass sich die von ihm dafür getätigten Aufwendungen und sein Einsatz nur bei erfolgreicher Vermittlung von Verträgen rentierten, weil er sonst keine Einnahmen erziele. Nach § 87 d HGB trage der Handelsvertreter deshalb – soweit nicht ein Aufwendungsersatz durch den Prinzipal handelsüblich sei – die in seinem regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehenden Aufwendungen selbst. Hierzu gehörten die eigene Büroausstattung und alle sonstigen Kosten des eigenen Betriebs und der Repräsentation gegenüber den Kunden. Zu den gem. § 86 a Abs. 1 HGB – kostenlos – vom Unternehmer zur Verfügung zu stellenden Unterlagen gehörten deshalb nur die Hilfsmittel, die der Handelsvertreter spezifisch aus der Sphäre des Unternehmers benötige, um seine Tätigkeit überhaupt ausüben zu können, so dass diese mithin seine Tätigkeit als Handelsvertreters „unverzichtbar“ seien.

Die „Arbeitsplatzsysteme inklusive Kasse“ verbunden mit entsprechenden Hardware- und Softwarekomponenten stellten hiernach „Unterlagen“ im Sinne des § 86 a Abs. 1 HGB dar. Es möge zwar sein, dass es sich in einem gewissen Umfang um frei am Markt verfügbare „Standard“ Hard- und Software handele, die Beklagte habe diese jedoch gemäß ihrem eigenen Vortrag ihren Bedürfnissen entsprechend konfiguriert und an die Klägerin übergeben, ohne dass dieser eine Vornahme von Änderungen an dem System gestattet gewesen wäre. Dass die Klägerin im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs und auch bei Ausübung ihrer Vermittlungstätigkeit – etwa im Rahmen von Vertragsabschlüssen – nur die von der Beklagten zur Verfügung gestellten Systeme nutzen durfte, ergebe sich bereits aus den vorgelegten Vertragsunterlagen. Es fehle an nachvollziehbarem Vorbringen der Beklagten dazu, wie die Klägerin Verträge mit Kunden hätte abschließen sollen, wenn nicht unter Verwendung des ihr zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten EDV-Systems.

Bei den „Arbeitsplatzsystemen inklusive Kasse“ handele es sich auch um „erforderliche“ Unterlagen im Sinne des § 86 a Abs. 1 HGB. Dass die Klägerin auf die Verwendung des Computersystems für ihre Tätigkeit als Handelsvertreterin für die Beklagte unverzichtbar angewiesen gewesen sei, ergebe sich bereits bei lebensnaher Betrachtung unter Berücksichtigung allgemeiner Erfahrung. Vertragsschlüsse im Hinblick auf T-dienstleistungen erfolgten, wie die Beklagte selbst konstatiert habe, heutzutage nicht mehr in Papierform, sondern elektronisch unter Verwendung entsprechender elektronischer Formulare. Sie werden in nennenswertem Umfang noch nicht einmal mehr dem Kunden in Papierform zur Verfügung gestellt, erst recht jedoch nicht seitens des Handelsvertreters in Papierform an den jeweiligen Prinzipal übermittelt. Dass dies in Bezug auf die Tätigkeit der Klägerin anders erfolgt wäre und diese Verträge unter Verwendung von – durch sie selbst erstellten – Vordrucken oder gar in individuell von ihr formulierter Form geschlossen hätte, wird auch von der Beklagten nicht behauptet. Hiernach ergibt sich jedoch von selbst, dass die Klägerin gerade die von der Beklagten zur Verfügung gestellte Software nicht nur für die Kenntniserlangung von aktuellen Preisen der jeweiligen angebotenen Produkte, sondern auch für praktisch sämtliche anderen Vorgänge im Zusammenhang mit der Vermittlung ihrer Geschäfte benötigte. Dass es der Klägerin darüber hinaus auch untersagt gewesen sei, andere als die von der Beklagten zur Verfügung gestellte Software für den Abschluss von Verträgen zu nutzen und diese bereits aus diesem Grund für die Tätigkeit der Klägerin unverzichtbar gewesen sei, sei im Übrigen auch zwischen den Parteien unstreitig. Die Erforderlichkeit ergebe sich hiernach bereits aus der Tatsache, dass ohne Verwendung der der Klägerin zur Verfügung gestellte Hard- und Software eine Vermittlung unter dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag unmöglich gewesen wäre und kein einziges Geschäft hätte geschlossen werden können.

Bei der endgültigen Beurteilung, ob es sich um „erforderliche Unterlagen“ i. S. v. § 86 a Abs. 1 HGB handele, und demzufolge eine davon abweichende Vereinbarung nach § 86 a Abs. 3 HGB unwirksam sei, oder ob der Handelsvertreter die in seinem regelmäßigen Geschäftsbetrieb anfallenden Aufwendungen selbst zu tragen habe gem. § 87 d HGB, handele es sich um Einzelfallentscheidungen. Dabei könne auch eine Vertriebssoftware § 86 a Abs. 1 HGB unterfallen und für ein „Softwarepaket“ eine erforderliche Unterlage auch dann – wie im vorliegenden Sachverhalt angenommen – zu bejahen sein, wenn nur einzelne Komponenten für die Tätigkeit des Handelsvertreters unverzichtbar seien.

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