Ein Franchisevertrag kann insgesamt wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn wegen einer Vielzahl der den Franchisegeber einseitig begünstigenden und den Franchisenehmer benachteiligenden Bestimmungen der Franchisenehmer übermäßig in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit beeinträchtigt und ihm hierfür kein auch nur annähernd angemessener Ausgleich gewährt wird. Hierfür ist eine Gesamtwürdigung der vertraglichen Vereinbarung und der zum Vertragsschluss führenden Umstände erforderlich. Die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften betreffend Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer finden unabhängig von einer möglichen Umgehungsabsicht der Vertragspartner beim Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags Anwendung, wenn die in ihnen niedergelegten Voraussetzungen erfüllt sind, und führen jedoch nicht zur Nichtigkeit eines Franchise- bzw. Lizenznehmervertrages gemäß § 134 BGB.
Urteil des BGH vom 11. Oktober 2018 – Aktz. VII ZR 298/17
Der BGH widersprach der Auffassung des Berufungsgerichtes, dass der Lizenz-/Franchisenehmer zu Unrecht mit der Begründung zur Zahlung von ausstehenden Lizenzgebühren, Büro- und Schulungskosten etc. verurteilt worden sei, dass es sich bei dem Lizenznehmervertrag wegen der Scheinselbständigkeit des Franchisenehmers um ein nichtiges Umgehungsgeschäft handelt. Das Berufungsgericht hatte zur Begründung ausgeführt, dass Scheinselbständige Personen seien, die für einen anderen andauernd Dienst- oder Werkleistungen erbrächten und dabei wie ein Arbeitnehmer weisungsgemäß oder in wirtschaftlicher Abhängigkeit von dem Auftraggeber tätig würden, obwohl sie als Vertragspartner ausdrücklich keinen Arbeitsvertrag geschlossen hätten. Die Scheinselbständigkeit werde in dem Bestreben benutzt, arbeitsrechtliche Schutzvorschriften, insbesondere Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung, Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer, zu umgehen. Die Nichtigkeit eines solchen Umgehungsgeschäfts ergebe sich bereits im Wege der Auslegung aus der umgangenen Verbotsnorm. Vorliegend sei kein Arbeitsvertrag zwischen den Parteien geschlossen worden, sondern ein Lizenznehmervertrag, der den Anschein habe erwecken sollen, der Lizenznehmer werde selbständig Immobilien vermakeln. Der Lizenznehmer sei hier in der Gestaltung seiner Arbeitszeit frei, er könne bestimmen, ob eine Rechnung an seinen Kunden gestellt werde und er betreibe selbständig Kundenakquise. Allerdings überwögen in dem Lizenzvertrag die Bestimmungen, die ein Arbeitsverhältnis kennzeichneten.
Der BGH stellte in seiner Entscheidung fest, dass mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung, die Nichtigkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Lizenznehmervertrags nicht angenommen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei dieser Vertrag nicht wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB unwirksam. Eine Umgehung der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften betreffend den Kündigungsschutz (§§ 1 ff. KSchG), die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EntgeltFG) sowie die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer (§ 28e SGB IV, § 41a EStG) führe nicht zur Nichtigkeit des Vertrags. Diese Bestimmungen fänden vielmehr unabhängig von einer möglichen Umgehungsabsicht der Vertragspartner beim Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags Anwendung, wenn die in ihnen niedergelegten Voraussetzungen erfüllt seien. Ob ein Vertrag über die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit oder ein Arbeitsvertrag vorliege, sei anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, der objektive Geschäftsinhalt sei den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprächen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, sei Letztere maßgeblich.
Das Urteil des Berufungsgerichts könne danach keinen Bestand haben und sei aufzuheben. Der Senat könne in der Sache nicht selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht zu den weiteren vom Beklagten erhobenen Einwendungen bislang keine Feststellungen getroffen habe. Die Sache sei daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren wies der BGH auf Folgendes hin:
Die vom Berufungsgericht angenommene Nichtigkeit des Lizenznehmervertrags wäre gegeben, wenn der Einwand des Beklagten durchgreift, dass der Vertrag als sittenwidrig zu bewerten ist. Das kommt auch in Betracht, wenn der Beklagte als selbstständig tätiger Franchisenehmer anzusehen ist.
Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB und damit nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Ein Franchisevertrag ist insgesamt wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn wegen einer Vielzahl der den Franchisegeber einseitig begünstigenden und den Franchisenehmer benachteiligenden Bestimmungen der Franchisenehmer übermäßig in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit beeinträchtigt und ihm hierfür kein auch nur annähernd angemessener Ausgleich gewährt wird (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1986 – VIII ZR 280/85; Urteil vom 7. Januar 1993 – IX ZR 199/91, NJW 1993, S. 1587). Hierfür ist eine Gesamtwürdigung der vertraglichen Vereinbarung und der zum Vertragsschluss führenden Umstände erforderlich. Indizien für eine sittenwidrige Knebelung des Franchisenehmers können dabei die Vereinbarung einer Inkassovollmacht zugunsten des Franchisegebers sein, durch die der Zahlungsverkehr auf den Franchisegeber umgeleitet wird, sowie Einschränkungen des Franchisenehmers enthaltende Vertragsbestimmungen, die über die für ein solches Vertriebssystem typischen Einschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit des Franchisenehmers hinausgehen. Das Berufungsgericht wird hierzu nach Anhörung der Parteien die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.