Eine Vertragsregelung, die den Handelsvertreter bei Vertragsende zur sofortigen Rückzahlung eines Unterverdienstes verpflichtet, der über mehrere Jahre beständig und massiv angestiegen ist, weil die Prinzipalin durchgehend viel höhere Provisionsvorschüsse gezahlt als der Handelsvertreter ins Verdienen gebracht hat, kann eine unzulässige und daher gemäß §§ 134 BGB, 89 Abs. 2 Satz 1, 89a Abs. 1 Satz 2 HGB unwirksame Kündigungserschwernis darstellen. Der Handelsvertreter kann in diesem Fall jedoch keine Provisionen mehr nachfordern, soweit ihm die (zu hohen) Provisionsvorschüsse verbleiben; das gilt auch für Überhangprovisionen, die erst nach Vertragsende anfallen.
OLG München, Endurteil vom 7. Dezember 2023 – 23 U 6109/21
Die betroffene Handelsvertreterin klagte u.a. auf Feststellung der Unwirksamkeit der betreffenden Rückzahlungsvereinbarungen, nachdem sie vom vertretenen Unternehmen ordentlich gekündigt und zur Rückzahlung der aufgelaufenen Vorschüsse von über 30.000 Euro aufgefordert worden war.
Die Richter des 23. Senates führten zunächst aus, dass die Kündigungsfrist gemäß § 89 Abs. 2 HGB für den Unternehmer nicht kürzer sein dürfe als für den Handelsvertreter. Nach § 89a Abs. 1 Satz 2 HGB dürfe das Recht des Handelsvertreters zur außerordentlichen Kündigung zudem nicht beschränkt werden. Bei beiden Normen handele es sich um zwingende Schutzvorschriften zugunsten des Handelsvertreters, der nicht einseitig in seiner Entschließungsfreiheit beschnitten werden dürfe. Eine danach unzulässige Beschneidung liege mittelbar vor, wenn an die Kündigung des Handelsvertreters wesentliche, eine Vertragsbeendigung erschwerende Nachteile geknüpft seien. Ob die Nachteile von solchem Gewicht seien, dass sie zu einer unwirksamen Kündigungserschwernis führten, sei nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Diese Beurteilung hänge insbesondere von der Höhe der gegebenenfalls zurückzuerstattenden Zahlungen und dem Zeitraum, für den sie zu erstatten seien, ab.
Nach diesen Grundsätzen sei im vorliegenden Sachverhalt von einer unzumutbaren Kündigungserschwernis auszugehen, als die Klägerin nach den vertraglichen Vereinbarungen dazu verpflichtet sei, einen Unterverdienst in Höhe von noch rund 30.000 € bei Beendigung des Handelsvertretervertrages auf einmal zurückzuzahlen. Zwar sei dieser Unterverdienst über viele Jahre und also einen längeren Zeitraum aufgelaufen. Dieser habe jedoch von Anfang an stetig zugenommen. Dieses beständig zunehmende, erhebliche Soll stehe wirtschaftlich einem hohen Kredit gleich, der bei Vertragsbeendigung in einer Summe zurückzuzahlen sei und sei folglich in seiner konkreten Entwicklung und Ausformung geeignet, die Entschließungsfreiheit der Klägerin in Bezug auf eine Vertragsbeendigung unzumutbar zu beeinträchtigen.
Selbst wenn man unterstelle, dass der vertretene Unternehmer ursprünglich bei Vertragsbeginn davon ausgegangen sei, die vertriebserfahrene Klägerin werde die Vorschüsse ins Verdienen bringen, wäre diese Vorstellung alsbald durch die tatsächliche Entwicklung widerlegt worden. Anstatt die Vorschüsse dementsprechend zu reduzieren, seien gegen Ende der Vertragszeit die Differenzprovision sogar nochmals sprunghaft erhöht worden. Auf diese Weise sei der auf der Klägerin lastende Schuldendruck nochmals verstärkt worden, anstatt ihn abzumildern. Hierin liege das Kündigungshemmnis begründet. Es sei gerade das Problem, dass das vertretene Unternehmen über die Jahre (viel) zu hohe Vorschüsse an die Klägerin ausbezahlt habe, ohne diese zeitnah auch nur annähernd vollständig zurückzufordern, so dass es bei Vertragsbeendigung zu einer allzu hohen Rückforderung und damit zu einem entscheidenden Kündigungshemmnis gekommen sei. Das Unternehmen könne der Handelsvertreterin auch nicht vorhalten, keine ausreichenden Rückstellungen aus den an sie geleisteten Zahlungen gebildet zu haben. Vielmehr hätte umgekehrt das Unternehmen die Vorschusszahlungen angemessen regulieren können und müssen. Das gelte jedenfalls in der vorliegenden Konstellation, in der ein erheblicher Teil der Zahlungen, etwa der Bürokostenzuschuss oder die zur Aufbaufinanzierung gezahlten Vorschüsse, der Aufrechterhaltung und dem Ausbau des Geschäftsbetriebs der Handelsvertreterin und damit gerade nicht der Rückstellungsbildung zu dienen bestimmt gewesen seien.
Gemäß § 134 BGB i.V.m. § 89a Abs. 1 Satz 2 HGB ist nur die Abrede unwirksam, dass der Handelsvertreter bei Beendigung seines Vertrages einen dann noch vorhandenen Unterverdienst ausgleichen muss. Nur insoweit ist eine Kündigungserschwernis gegeben. Der Vertrag im Übrigen bleibt dagegen wirksam und bildet den Rechtsgrund für die erfolgten monatlichen Zahlungen, die dem Handelsvertreter verbleiben. Die Eigenschaft dieser Zahlungen als Provisionsvorschüsse bleibt unberührt mit der Folge, dass der Handelsvertreter keine Provision nachfordern kann, soweit ihm die Vorschüsse verbleiben.
Dies gelte auch für Überhangprovisionen, die erst nach Vertragsende angefallen sind. Auch diese sind nicht mehr nachforderbar, weil und soweit der Klägerin zuvor gezahlte höhere, noch nicht verdiente Provisionsvorschüsse verbleiben: (Auch) die Überhangprovisionen sind dann durch die vorherigen Vorschusszahlungen bereits vorab getilgt worden. Die Klägerin kann ihre Bezahlung nicht doppelt verlangen.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch mehr auf Auszahlung weiterer Vorschüsse für die Zeit nach der Kündigungserklärung. Zwar kann ein solcher Vorschussanspruch im Kündigungszeitraum bestehen, wenn der Entzug eines vorher rechtsverbindlich vereinbarten Vorschusses im Moment der Kündigungserklärung ein unzumutbares Kündigungshindernis darstellen würde. Jedoch gab es hier keine Rechtsgrundlage für Vorschusszahlungen im Kündigungszeitraum mehr, die durch die Kündigung hätte entzogen werden können. Die letzte Vorschussvereinbarung der Parteien war befristet und bei Kündigungserklärung schon abgelaufen. Das Angebot einer neuen Vorschussvereinbarung hatte die Klägerin nicht mehr angenommen.
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