1. Eine Vertragsregelung, durch die der Handelsvertreter rund 97% seiner laufenden Einkünfte im Zeitraum zwischen der Erklärung der ordentlichen Kündigung und dem Wirksamwerden der Kündigung einbüßt, kann auch dann eine unzulässige und daher gemäß §§ 134 BGB, 89 Abs. 2 Satz 1 HGB unwirksame Kündigungserschwernis sein, wenn der Kündigungszeitraum lediglich drei Monate beträgt.
  2. Eine Vertragsbestimmung, wonach ein Teil der dem Handelsvertreter zu zahlenden Vergütung auf einen künftigen Ausgleichsanspruch angerechnet werden soll, ist gemäß §§ 134 BGB, 89b Abs. 4 Satz 1 HGB nichtig, es sei denn, es handelt sich bei den entsprechenden Zahlungen um zusätzlich erbrachte Leistungen des Unternehmens, für die es einen anderen Rechtsgrund als den künftigen Ausgleichsanspruch nicht gibt.

 OLG München, Urteil vom 22. Februar 2024 – 23 U 7165/21

 

In dem zugrundeliegenden Fall stritten die Parteien über Zahlungsansprüche des Handelsvertreters nach Kündigung des Handelsvertretervertrages durch das vertretene Unternehmen.

Die Richter des 23. Senates führten zunächst aus, dass die Kündigungsfrist gemäß § 89 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz HGB für den Unternehmer nicht kürzer sein dürfe als für den Handelsvertreter. Hierbei handele es sich um eine Schutzvorschrift zugunsten des Handelsvertreters, der nicht einseitig in seiner Entschließungsfreiheit beschnitten werden solle. Eine solche unzulässige Beschneidung liege mittelbar vor, wenn an die Kündigung des Handelsvertreters wesentliche, eine Vertragsbeendigung erschwerende Nachteile geknüpft werden. Ob die Nachteile von solchem Gewicht seien, dass sie zu einer unwirksamen Kündigungserschwernis führten, sei nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Danach könne etwa der Wegfall der Zahlung eines Bürokostenzuschusses bei der Kündigungserklärung jedenfalls bei einer mehrjährigen Kündigungsfrist unzulässig sein.

Die Abwägung aller Umstände des Einzelfalls führe vorliegend dazu, dass der Wegfall der Vorschusszahlungen mit dem Ausspruch der Kündigung eine unzulässige Kündigungserschwernis darstelle. Denn mit der vereinbarten Regelung sei ein massiver Einkommensverlust für den Handelsvertreter bereits im Moment des Ausspruchs der Kündigung verbunden, obwohl er noch bis zum Ende der Vertragslaufzeit, hier drei weitere Monate, vertraglich an das vertretene Unternehmen gebunden bliebe. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungserklärung Ende November 2019 hätte der Handelsvertreter nach der formularmäßigen Vereinbarung 2.100 € monatliche Bestandspflegeprovision, 3.000 € monatlichen Differenzprovisionsvorschuss, sowie 2.500 € monatlichen Bürokostenzuschuss, insgesamt also 7.600 € monatlich verloren.

Diesen massiven Verlusten stehe keine hinreichende Rechtfertigung entgegen. Ganz im Gegenteil – bis zum Vertragsende habe der Handelsvertreter noch sein Büro vorhalten müssen, das vertretene Unternehmen entzog ihm aber gleichwohl den Zuschuss hierfür. Ebenfalls habe der Handelsvertreter seinen Anspruch auf Vorschuss auf die Differenzprovision verloren, obwohl er weiterhin die ihm zugewiesenen Vertragspartner habe betreuen musste. Den Zuschuss des Unternehmens für die Bestandspflege habe der Handelsvertreter hinzukommend auch verloren, obwohl er bis zum Vertragsende an dem Bestand habe weiterarbeiten müssen und dürfen.

Zwar sei die Kündigungsfrist von drei Monaten relativ kurz. Dafür bedeute die vertragliche Regelung vorliegend für diese Zeit einen Einkommensverlust des Handelsvertreters, der nahe am Totalverlust sei, obwohl er zunächst seine vertraglichen Leistungen weiter zu erbringen gehabt habe. Das vertragliche Synallagma werde für den Kündigungszeitraum praktisch zulasten des Klägers aufgehoben. Dies sei in dieser Form, wenn man alle Umstände des Einzelfalls gegeneinander abwäge und betrachte, nicht mehr mit § 89 Abs. 2 HGB vereinbar.

Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters ist nicht durch Verrechnung mit einem bestehenden Unterverdienst des Klägers erloschen. Dies folgt schon aus der vertraglichen Vereinbarung der Parteien. Der Unterverdienst ist das Resultat der vertraglich vereinbarten Vorschusszahlungen auf Differenz- und Bestandsprovision. Er ist folglich nur mit den entsprechenden Provisionen zu verrechnen. Nur diese sind damit vorausbezahlt worden; der Kläger kann sie nicht doppelt verlangen.

Davon abgesehen wäre eine Vertragsbestimmung, wonach ein Teil der dem Handelsvertreter zu zahlenden Vergütung auf einen künftigen Ausgleichsanspruch angerechnet werden soll, grundsätzlich gemäß § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB, § 134 BGB nichtig. Das wäre nur anders, wenn es sich bei den entsprechenden Abschlagszahlungen um zusätzlich erbrachte Leistungen des Unternehmens handelte, für die es einen anderen Rechtsgrund als den künftigen Ausgleichsanspruch nicht gibt. Die Ausnahme ist hier nicht einschlägig. 

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