- Bei der Abgrenzung zwischen Selbständigen und Unselbständigen ist weder isoliert auf die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrags oder die von diesen gewählte Bezeichnung als Angestellter oder Handelsvertreter noch allein auf die tatsächliche Durchführung des Vertrags abzustellen. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse unter Würdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrages. Wer in eigenem Namen und auf eigene Rechnung Büroräume anmietet, deutet zumindest im Außerverhältnis an, dass er als Selbstständiger tätig ist. Wenn zusätzlich feststeht, dass er – im Rahmen seines konkreten Beschäftigungsverhältnisses – für seine von ihm frei eingeteilte Tätigkeit variabel und erfolgsabhängig vergütet wird, ist er nicht Arbeitnehmer, sondern Handelsvertreter. Dem steht nicht entgegen, dass er „sozial abhängig“ tätig gewesen ist, denn dies nimmt dem Vertragsverhältnis nicht das selbständige Gepräge.
- Auch im Verhältnis zum Handelsvertreter ist es dem Unternehmer grundsätzlich unbenommen, selbständig zu disponieren und sein Vertriebssystem zu ändern, wenn er das für zweckmäßig und erforderlich hält. Wenn er einen unrentablen Geschäftszweig einstellt, berechtigt ihn dies grundsätzlich auch zur außerordentlichen Kündigung eines Handelsvertretervertrages. Daher liegt der fehlende wirtschaftliche Erfolg nicht nur in der Risikosphäre des Unternehmens, sondern auch in der des mit ihm vertraglich verbundenen Handelsvertreters; eine Grenze ist lediglich dort anzuerkennen, wo sich der Unternehmer willkürlich und ohne vertretbaren Grund über die schutzwürdigen Belange seiner Handelsvertreter hinwegsetzt.
- Grundsätzlich ist es zulässig, eine außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist (fünf Monate) auszusprechen; solange sich dadurch nicht ergibt, dass es für den Kündigenden zumutbar wäre, den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwarten.
- Ein Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters scheidet aus, wenn der Unternehmer, der aufgrund einer Geschäftsaufgabe keine Kundenbeziehungen mehr unterhält, hieraus keinen Vorteil zieht. Im Übrigen reichen Vorteile von Konzernunternehmen grundsätzlich nicht zur Begründung des Ausgleichsanspruchs aus (Anschluss EuGH, Urteil vom 26. März 2009 – C-348/07).
OLG München, Urteil vom 11.12.2024 – 7 U 4623/22
Das OLG München hatte sich in diesem Verfahren zunächst mit der Frage zu befassen, ob eine Angestellteneigenschaft des gegen die außerordentliche Kündigung klagenden Handelsvertreters vorgelegen hat. Dazu hob das Gericht hervor, dass bei der Abgrenzung zwischen Selbständigen und Unselbständigen auf das Gesamtbild der Verhältnisse unter Würdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrages. Der Handelsvertreter war sowohl nach dem Vertragstext als auch nach der Vertragspraxis darin frei zu entscheiden, ob er seine vertraglichen Leistungspflichten in eigener Person oder durch Dritte erbringt. Dies ist ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit und gegen eine Weisungsgebundenheit. Der Handelsvertreter konnte nach dem Vertrag, der keine Regelung zum Arbeitsort enthält, auch den Arbeitsort frei bestimmen, was ebenfalls gegen eine Weisungsgebundenheit spricht. Auch die von dem Unternehmen eingeräumten Vorgaben für den Vertrieb von Versicherungsverträgen und Anlagen ändern am Selbständigenstatus des Handelsvertreters nichts. Außerdem spielt nach der Rechtsprechung des BAG die Art der Vergütung keine Rolle für die Frage der Selbständigkeit bzw. Unselbständigkeit; entscheidend sind die Umstände der Dienstleistung, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung.
Des Weiteren stellte das Gericht fest, dass der Handels-/Versicherungsvertreter grundsätzlich eine Einstellung des Geschäftsbetriebs bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des von ihm vertretenen Unternehmens hinzunehmen habe, ergebe sich aus dem über gewöhnliche Austauschverträge hinausgehenden, regelmäßig besonders engen Vertrauensverhältnis zwischen einem Unternehmen und dem in seinen Vertrieb eingebundenen Handels-/Versicherungsvertreter sowie aus dessen besonders enger Bindung an den wirtschaftlichen Erfolg und eben auch den Misserfolg des Unternehmens. Der fehlende wirtschaftliche Erfolg liege daher nicht nur in der Risikosphäre des Unternehmens, sondern auch in der des mit ihm vertraglich verbundenen Handels-/Versicherungsvertreters. Im Verhältnis zum Handelsvertreter sei es dem Unternehmer demgemäß grundsätzlich unbenommen, selbständig zu disponieren und sein Vertriebssystem zu ändern, wenn er das für zweckmäßig und erforderlich halte. Wenn er einen unrentablen Geschäftszweig einstelle, berechtige ihn dies grundsätzlich auch zur außerordentlichen Kündigung eines Handelsvertretervertrages. Dass sich der Unternehmer willkürlich und ohne vertretbaren Grund über die schutzwürdigen Belange seiner Handelsvertreter hinwegsetze, könne allerdings mit Blick auf die anhaltenden Verluste des beklagten Unternehmens keine Rede sein.
Die außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist (fünf Monate) war zudem zulässig. Die Interessen der Handels-/Versicherungsvertreter seien im entschiedenen Sachverhalt nicht zuletzt dadurch gewahrt worden, dass das beklagte Unternehmen die Handels-/Versicherungsvertreter unstreitig frühzeitig mehr als sechs Monate vor dem Endtermin informiert hatte und damit seiner Informationspflicht gem. § 86a Abs. 2 Satz 3 HGB hinreichend nachgekommen sei.
Die Beratung im Vertriebsrecht insbesondere auch die Vertragsprüfung ist eine der wesentlichen Leistungen der CDH Organisation für Mitglieder. Nähere Informationen unter: www.cdh.de/leistungen/beratung
Die Entscheidung ist für eine Veröffentlichung vorgesehen bzw. wurde bereits in der Rechtsprechungssammlung HVR veröffentlicht, die unter www.cdh-wdgmbh.de bestellt werden kann.