Dem Anspruch auf Buchauszug des Handelsvertreters kann vom Prinzipal nicht entgegenhalten werden, dass die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eine Buchauszugserteilung ohne die Darlegung der Erforderlichkeit der Mitteilung jedes einzelnen Datums durch den Handelsvertreter verbiete. Zwar ist die DSGVO auf alle nach § 87 c Abs. 2 HGB vorzunehmenden Datenverarbeitungen anwendbar, jedoch ist die mit der Erteilung eines Buchauszuges verbundene Datenübermittlung nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 DSGVO erlaubt. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO gestattet die Übermittlung des Buchauszugs mit allen von § 87 c Abs. 2 HGB geforderten Angaben an den Handelsvertreter, denn bei der Übermittlung eines Buchauszugs nach § 87 c Abs. 2 HGB überwiegt das Vergütungsinteresse des Handelsvertreters ein gegenläufiges Interesse des Kunden des Prinzipals im Rahmen der Interessenabwägung.
Urteil des OLG München vom 31. Juli 2019 – 7 U 4012/17
Die Richter des 7. Senates des OLG München stellten in den Urteilsgründen dieser Entscheidung umfassend dar, dass dem Anspruch auf Buchauszug des Handelsvertreters bzw. Versicherungsvertreters aus § 87c Abs. 2 HGB seitens des vertretenen Unternehmers nicht entgegenhalten werden kann, die Datenschutzgrundverordnung verbiete eine Buchauszugserteilung ohne die Darlegung der Erforderlichkeit der Mitteilung jedes einzelnen Datums durch den Handelsvertreter. Die Richter räumten ein, dass die DSGVO nach ihrem Geltungsbeginn am 25.05.2018 auf alle im Laufe des geführten Berufungsverfahrens erteilten Buchauszüge und auch auf alle nach § 87 c Abs. 2 HGB zukünftig noch vorzunehmenden Datenverarbeitungen anwendbar sei, jedoch sei die mit der Erteilung eines Buchauszuges verbundene Datenübermittlung nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 DSGVO erlaubt.
Zwar griffen weder der Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. b noch der des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. c DSGVO, jedoch gestatte Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO die Übermittlung des Buchauszugs mit allen von § 87 c Abs. 2 HGB geforderten Angaben an den auf Erteilung eines Buchauszuges klagenden Handelsvertreter.
Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. b DSGVO seien nicht erfüllt, da die Übermittlung des Buchauszugs, die gemäß Art. 4 Nr. 2 DSGVO eine „Verarbeitung“ i.S.d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 DSGVO darstelle, nicht zur Erfüllung eines Vertrages erforderlich sei, dessen Vertragspartei die betroffene Person sei. Von der Datenverarbeitung betroffene Person im Sinne dieser Vorschrift sei nämlich jeder Kunde des Versicherungs- bzw. Finanzdienstleistungsvertrages, den der Kläger vermittelt habe, da sich die im Rahmen des Buchauszugs zu übermittelnden Daten auf die Kunden bezögen. Die Kunden seien aber nicht Partei des Vertretervertrages zwischen dem Kläger und der Beklagten, zu dessen Erfüllung die Erteilung des Buchauszugs nach § 87 c Abs. 2 HGB erfolge. Zur Erfüllung der von den Kunden abgeschlossenen Versicherungs- bzw. Finanzdienstleistungsverträgen sei die Erteilung des Buchauszugs dagegen nicht erforderlich und erfolge sie auch nicht.
Auch Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. c DSGVO erlaube die Buchauszugserteilung nicht. Denn unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Verpflichtung des Prinzipals zur Buchauszugserteilung nach § 87 c Abs. 2 HGB um eine „rechtliche Verpflichtung“ i.S.d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit c. DSGVO handelt, fehle es jedenfalls an einem „öffentlichen Interesse“, das gemäß Art. 6 Abs. 3 S. 4 DSGVO mit der Buchauszugserteilung verfolgt werden müsse. Denn die Buchauszugserteilung erfolge ausschließlich zur Realisierung des Vergütungsinteresses des Versicherungs- bzw. Handelsvertreters und damit eines rein individuell-privaten Interesses, das aber von Art. 6 Abs. 3 S. 4 DSGVO gerade nicht umfasst werde.
Die Erteilung des Buchauszugs an den Kläger sei jedoch durch den Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO gedeckt, der die Übermittlung u.a. dann gestatte, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen eines Dritten erforderlich sei, sofern nicht die dagegen stehenden Interessen oder Grundrechte der betroffenen Person überwiegten.
Inmitten stehe – wie bereits ausgeführt – bei der Buchauszugserteilung ausschließlich das Vergütungsinteresse des Versicherungs- bzw. Handelsvertreters. Dabei handele es sich um ein berechtigtes Interesse eines Dritten i.S.d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO, da es aus einer von der Rechtsordnung erlaubten unternehmerischen Tätigkeit des Vertreters folge und die unternehmerische Freiheit, die notwendigerweise das Recht zur Gewinnerzielung umfasse, ausdrücklich durch Art. 16 EUGRCh (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) anerkannt und geschützt sei.
Darüber hinaus gestehe die europäische Rechtsordnung in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (86/653/EWG) dem Warenhandelsvertreter (Art. 1 Abs. 2) auch ausdrücklich einen Anspruch gegen den Unternehmer auf Erteilung eines Auszugs aus den Büchern des Unternehmers zur Nachprüfung seines Provisionsanspruchs zu, sodass sich daraus ableiten lasse, dass das Interesse des Handelsvertreters an der Erteilung eines Buchauszugs ein europarechtlich geschütztes und damit berechtigtes i.S.d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO sei. Dabei verkenne der Senat auch nicht, dass sich die Handelsvertreterrichtlinie gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 nur auf Warenhandelsvertreter beziehe. Dies ändere jedoch nichts daran, dass aufgrund der gleichlaufenden Interessenlage der Beteiligten das Interesse eines sonstigen Handelsvertreters und/oder eines Versicherungsvertreters an der Erteilung eines Buchauszuges nicht weniger schützenswert sei.
Die Erteilung des Buchauszugs nach § 87 c Abs. 2 HGB sei zur Verwirklichung des Provisionsanspruchs des Versicherungs- bzw. Handelsvertreters und damit zur Realisierung dessen Vergütungsinteresses auch erforderlich, da erst durch die Erteilung des Buchauszugs der Vertreter in die Lage versetzt werde zu überprüfen, ob die ihm vom Prinzipal erteilten Abrechnungen richtig und vollständig seien oder ob ihm noch ein darüber hinaus gehender Provisionsanspruch nach § 87 a HGB zustehe. Denn nur so könne der Vertreter Kenntnis von provisionsrelevanten Vorgängen erhalten, die sich im Verhältnis des Kunden zum Prinzipal zugetragen haben.
Der Richter des 7. Senates gingen ebenfalls davon aus, dass bei der Übermittlung eines Buchauszugs nach § 87 c Abs. 2 HGB das Vergütungsinteresse des Vertreters ein gegenläufiges Interesse des Kunden des Prinzipals im Rahmen der Interessenabwägung überwiegt.
Der Senat verkannte dabei nicht, dass die mit dem Buchauszug dem Vertreter vom Prinzipal übermittelten Daten der betroffenen Personen höchst sensibel sein können wie beispielsweise bei der Bezeichnung der Gründe für die Stornierung eines Versicherungsvertrages (z.B. Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers wegen krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit).
Jedoch diene der Buchauszug der Verfolgung des Provisionsanspruchs des Vertreters aus § 87 a Abs. 1 HGB, dessen Realisierung ohne den Buchauszug zumindest erheblich erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht gemacht würde, sodass der Vertreter als Dritter ein sehr hohes, wenn nicht sogar wirtschaftlich existentielles Interesse an der Datenübermittlung habe.
Bei der Gewichtung und Abwägung dieser gegenläufigen Interessen sei zunächst von den in der DSGVO selbst aufgeführten Erwägungsgründen auszugehen. Heranzuziehen sei daher der einschlägige Erwägungsgrund 47, der auf die zwischen dem Verantwortlichen und der betroffenen Person bestehende Beziehung (z.B. eine Kundenbeziehung) sowie auf die Erwartbarkeit der Datenverarbeitung für die betroffene Person abstelle. In der streitgegenständlichen Konstellation komme zwischen dem Kunden als betroffener Person und dem Verantwortlichen eine Beziehung allein aufgrund der Vermittlungstätigkeit des Vertreters zustande. Für den Kunden sei damit absehbar, dass seine Daten vom Verantwortlichen verarbeitet und insbesondere an den Vertreter übermittelt werden. Denn auch dem geschäftsunerfahrenen Kunden müsse nach der allgemeinen Lebenserfahrung klar sein, dass, wenn der Geschäftsabschluss mit dem Prinzipal über einen (Unter-)Versicherungs- bzw. Handelsvertreter erfolge, letzterer Provision vom Prinzipal erhalte und deren Abrechnung einen Datenaustausch zwischen dem Vertreter und Prinzipal voraussetze. Diese hohe Erwartbarkeit einer Datenübermittlung für den Kunden spreche bereits für ein Überwiegen der Interessen des Vertreters.
Für ein Überwiegen der Interessen des Vertreters spreche aber des Weiteren, dass Zweck der Datenübermittlung vom Prinzipal an den Vertreter sei, letzteren in die Lage zu versetzen, seinen Rechtsanspruch aus § 87 a HGB gegen den Prinzipal auf Zahlung von Provision zu verwirklichen, und die DSGVO dem Zweck der Verfolgung von Rechtsansprüchen allgemein ein hohes Gewicht beimesse, wie sich beispielsweise aus der Regelung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 DSGVO ergebe. Diese Norm schließe nämlich das ansonsten gegebene Widerspruchsrecht einer betroffenen Person gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten durch den Verantwortlichen aus, wenn die Verarbeitung der Geltendmachung von Rechtsansprüchen des Verantwortlichen diene.
Im Rahmen der Interessenabwägung sei schließlich auch die in Art. 12 Abs. 2 der Handelsvertreterrichtlinie enthaltene grundsätzliche Entscheidung des europäischen Gesetzgebers zu berücksichtigen, dem (Waren-)Handelsvertreter nicht nur einen allgemeinen Auskunftsanspruch, sondern ausdrücklich einen Anspruch auf einen Buchauszug einzuräumen. Dadurch habe der Richtliniengeber nicht nur die prinzipielle Berechtigung und Schutzwürdigkeit des Mitteilungsinteresses des (Waren-)Handelsvertreters zum Ausdruck gebracht, sondern auch dessen hohes Gewicht im Rahmen der Interessenabwägung. Für den sonstigen Handelsvertreter sowie den Versicherungsvertreter gelte nichts anderes.
Insgesamt sei damit die Erteilung eines Buchauszugs nach § 87 c Abs. 2 HGB nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO zulässig.