Im Rahmen eines Vertragshändlervertrages bestehen gegenseitige Rücksichtnahmepflichten, aufgrund derer der Hersteller Bestellungen des Händlers nicht willkürlich ablehnen darf. Sind die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 89b HGB im Rahmen eines dem deutschen Recht unterliegenden Vertragshändlervertrages erfüllt, sind entsprechende Ausgleichsansprüche auch dann nicht vertraglich abdingbar, wenn das Vertragsgebiet außerhalb Deutschlands, aber innerhalb der Europäischen Gemeinschaft liegt.

Urteil des OLG Frankfurt vom 09. Februar 2016 – 11 U 136/14 (Kart)

Die Parteien stritten in diesem Verfahren um Ansprüche aus einem zwischen ihnen bereits Ende 2011 beendeten Vertragshändlervertrags. Die Herstellerin machte unstreitige Forderungen aus Warenlieferungen geltend, der die beklagte ehemalige Vertragshändlerin  im Wege der Aufrechnung und Widerklage Schadenersatzansprüche wegen Nichtbelieferung und u.a. auch einen Ausgleichsanspruch nach §89b HGB entgegenhielt.

Hinsichtlich der von der Vertragshändlerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche wegen Nichtbelieferung führten die Richter des 11. Senates des OLG Frankfurt zunächst aus, dass die Parteien eines Vertragshändlervertrages nach § 242 BGB gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten unterlägen. Daraus resultiere auch eine Treuepflicht des Herstellers, den Vertragshändler tatsächlich zu beliefern. Der Hersteller dürfe daher Bestellungen nicht willkürlich und ohne vertretbare Gründe ablehnen. Dies gelte insbesondere dann, wenn dem Händler – wie im entschiedenen Fall – vertraglich eine Mindestabnahmeverpflichtung und ein Konkurrenzverbot auferlegt worden seien.

Nicht zu vertreten habe die Herstellerin allerdings Lieferengpässe zu denen es aufgrund von Qualitätsproblemen im Zusammenhang mit einer neuen Tube zur Abfüllung der Produkte gekommen war. Dies sei als sachlich gerechtfertigter Grund anzusehen. Die Einführung neuer Verpackungen unterliege der Dispositionsfreiheit des Herstellers, auch wenn hierdurch ein leicht höheres Risiko von anfänglichen Produktmängeln bestehen möge als bei unveränderten Produkten.

Auch treffe die Vertragshändlerin ein weit überwiegendes Mitverschulden an vermeintlich aufgetretenen Schäden wegen Nichtbelieferung für u.a. geltend gemachte zwei Monate. Denn nach den vertraglichen Bestimmungen war sie verpflichtet gewesen, einen ausreichenden Vorrat für mindestens zwei Monate zu unterhalten.  Diese Verpflichtung zur

Lagerhaltung sollte gerade dazu dienen, etwaige Lieferengpässe auf Seiten der Klägerin abzufedern. Damit hätte es seitens der Vertragshändlerin eines konkreten Vortrages bedurft, welche Vorräte gerade der gegenständlichen Produkte sie angelegt hatte und weshalb diese Vorräte tatsächlich nicht ausreichten, den Bedarf für die Zeit einer zweimonatigen Nichtbelieferung zu decken.

Die beklagte Vertragshändlerin könne jedoch in entsprechender Anwendung des § 89b HBG einen Ausgleich beanspruchen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sei § 89b HGB auf einen Vertragshändlervertrag entsprechend anwendbar, wenn sich das Rechtsverhältnis zwischen dem Vertragshändler und dem Hersteller oder Lieferanten nicht in einer bloßen Käufer-Verkäufer-Beziehung erschöpfe, sondern der Vertragshändler so in die Absatzorganisation des Herstellers oder Lieferanten eingegliedert gewesen sei, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang dem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen habe, und der Händler zum anderen verpflichtet gewesen sei, dem Hersteller oder Lieferanten seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass sich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen könne.

Aus der Gesamtschau aller im  betreffenden Vertragshändlervertrag aufgeführten Verpflichtungen ergebe sich, dass die Beklagte nicht als selbständige Unternehmerin tätig werden konnte, die sich lediglich als Gegenleistung für das gewährte Alleinvertriebsrecht bestimmten Beschränkungen, wie etwa einer ausschließliche Bezugsverpflichtung und einer Absatzförderungspflicht, zu unterwerfen gehabt hätte, sondern dass sie im Rahmen der Absatzorganisation der Klägerin einem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hatte.

Dass der Klägerin keine weitergehende Kontroll- und Überwachungsbefugnisse und kein Recht zur Einsichtnahme in Geschäftsunterlagen eingeräumt waren, stehe dem nicht entgegen. Auch sei die Beklagte zur Überlassung ihres Kundenstamms verpflichtet gewesen mit der Folge, dass die Klägerin sich die Vorteile dieses Kundenstammes bei Vertragsbeendigung unmittelbar zunutze machen konnte.

Nach der Rechtsprechung des BGH komme es weder darauf an, ob eine solche Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes erst im Zeitpunkt der Beendigung des Vertrages oder schon während der Dauer des Vertrages durch laufende Unterrichtung des Herstellers über Geschäftsabschlüsse und Geschäftsentwicklung zu erfüllen sei, noch darauf, welchem Zweck die Verpflichtung zur Offenbarung von Kundendaten gedient habe.

Nach ihren Angaben hätte die Beklagte jedoch auf Anforderung der Klägerin vierteljährlich umfangreiche Aufstellungen eingereicht, aus denen Name, Anschrift und Abnahmemengen jedes einzelnen Kunden hervorgegangen seien. Diese sog. Scorecards seien – von der Klägerin unwidersprochen – über die gesamte Vertragslaufzeit für jedes Quartal an die Klägerin übermittelt worden.

Dass die Übermittlung primär Marketingzwecken dienen sollte, stehe einer analogen Anwendung des § 89b HGB nicht entgegen.

Entscheidend war aus Sicht der Richter des OLG Frankfurt, dass die Klägerin durch die auf Anforderung übermittelten Daten in die Lage versetzt worden sei, den Kundenstamm der Beklagten ohne weiteres für sich nutzbar zu machen. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung habe sie von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht und die Daten dem Nachfolger der Beklagten zur Verfügung gestellt.

Der Ausgleichsanspruch sei auch nicht durch eine im Vertragshändlervertrag enthaltene

Klausel wirksam ausgeschlossen worden, weil der Anspruch nach § 89b Abs. 4 HGB nicht abdingbar sei. Denn lägen die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 89b Abs. 1 HGB auf einen Vertragshändlervertrag vor, so sei auch § 89b Abs. 4 S 1 HGB entsprechend anzuwenden.

Da die Parteien ihr Vertragsverhältnis insgesamt dem deutschen Recht unterstellt hätten, spiele es keine Rolle, dass die Beklagte ihre Tätigkeit außerhalb Deutschlands erbracht habe. Die Erwägungen der Klägerseite, wonach unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und ratio des § 92c HGB bei einem Vertragshändler auch dann von den Vorschriften der § 84 ff HGB abgewichen werden dürfe, wenn das Vertragsgebiet, wie hier, im EU-Ausland liege, vermöchten die Richter nicht zu überzeugen.

Nach dem klaren Wortlaut von § 92c Abs 1 HGB könne hinsichtlich aller Vorschriften des siebten Abschnitts des HGB (nur dann) etwas anderes vereinbart werden, wenn „der Handelsvertreter seine Tätigkeit nach dem Vertrag nicht innerhalb des Gebietes der Europäischen Gemeinschaft oder der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben“ hat. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt.

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