Beim Überholen von Fahrzeugen kommt es immer wieder zu Unfällen. Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein musste in einem Fall entscheiden, bei dem ein Autofahrer durch ein unzulässiges Überholen eines Rechtsabbiegers einen Unfall verursachte. Gleichzeitig hatte der Rechtsabbieger jedoch durch einen ebenso unzulässigen Linksschwenk zur Kollision beigetragen.

Der Unfall ereignete sich, als der Beklagte nach rechts auf sein Grundstück abbiegen wollte. Um mehr Platz für den Abbiegevorgang zu schaffen, lenkte er zunächst nach links zur Fahrbahnmitte, obwohl sein Blinker nach rechts gesetzt war. Der hinter ihm fahrende Kläger sah dies, entschied sich aber dennoch dazu, den Rechtsabbieger zu überholen. In diesem Moment kam es zur Kollision.

Vor Gericht behauptete der Kläger, mit ausreichend Seitenabstand und angepasster Geschwindigkeit überholt zu haben, während der Beklagte dem Kläger vorwarf, zu schnell und zu dicht an ihm vorbeigefahren zu sein. Das Gericht musste nun klären, welcher der beiden Fahrer die größere Schuld am Unfall trug.

Sowohl das Landgericht als auch das OLG Schleswig-Holstein  – Az. 7 U 94/23 – kamen zu dem Ergebnis, dass beide Fahrer gegen mehrere Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen. Der Beklagte hätte sich gemäß § 9 Abs. 1 StVO rechtzeitig und möglichst weit rechts einordnen müssen, was er durch seinen Linksschwenk unterlassen hatte. Zudem hätte er laut § 9 Abs. 5 StVO sicherstellen müssen, dass sein Abbiegevorgang keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet. Auch wenn solche Linksschwenks in der Praxis häufig vorkommen, sind sie rechtlich unzulässig.

Doch auch der Kläger trug eine erhebliche Mitschuld: Er hatte sein Überholmanöver nicht durch Blinken angekündigt und war zudem rücksichtslos und gefährlich gefahren. Damit verstieß er gegen § 5 Abs. 4a StVO (Pflicht zur Ankündigung des Überholens) und § 1 Abs. 2 StVO (Gebot der Rücksichtnahme im Straßenverkehr).

Zudem überholte er in einer unklaren Verkehrslage, was einen weiteren Verstoß gegen § 5 Abs. 3 StVO darstellt. Eine unklare Verkehrslage liegt dann vor, wenn nicht mit einem sicheren Überholen zu rechnen ist. Im Verfahren stellte sich heraus, dass der Kläger bereits zuvor die unsichere Fahrweise des Beklagten bemerkt hatte. Ein umsichtiger Autofahrer hätte dies als Risiko erkannt und auf das Überholen verzichtet.

Nach Abwägung aller Umstände kam das Gericht zu einer Haftungsverteilung von 60 zu 40 zulasten des Klägers. Zwar hatte der Beklagte durch seinen Linksschwenk ebenfalls gegen die StVO verstoßen, doch wog das Fehlverhalten des Klägers schwerer: Während der Beklagte immerhin geblinkt und seine Geschwindigkeit vor dem Abbiegen reduziert hatte, hatte der Kläger rücksichtslos und mit zu geringem Seitenabstand überholt.

Das Gericht betonte, dass der Kläger den Unfall hätte vermeiden können, wenn er nur wenige Sekunden gewartet hätte. Sein vorschnelles und risikoreiches Fahrverhalten führte letztendlich zu der höheren Haftungsquote zu seinen Ungunsten.