- Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gemäß § 89b HGB ist kein reiner Vergütungsanspruch, sondern unterliegt in Entstehung und Höhe einer umfassenden Billigkeitsprüfung.
- Die im Rahmen der Prognose nach § 89b Abs. 1 Nr. 2 HGB vorzunehmende Billigkeitsprüfung hat alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen – insbesondere auch persönliche Verhältnisse wie Alter, Gesundheitszustand oder Erwerbsfähigkeit des Handelsvertreters.
- Eine von einem Nachfolger an den Unternehmer geleistete Einstandszahlung ist regelmäßig nicht anspruchserhöhend bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs zu berücksichtigen.
- Die Prüfung von Billigkeitsabzügen im Rahmen der Billigkeitsabwägung unterliegt dem tatrichterlichen Schätzungsermessen (§ 287 ZPO).
(Leitsätze der Redaktion)
OLG Oldenburg, Urteil vom 30.1.2025 – 8 U 5/24
Das OLG Oldenburg bestätigte jüngst den grundsätzlichen Charakter des Ausgleichsanspruchs als billigkeitsgeprägten Anspruch, bei dem die rechnerisch im Rahmen der sog. Rohausgleichsberechnung zu bestimmenden Provisionsverluste durch eine wertende Gesamtbetrachtung angepasst werden können – sowohl nach oben als auch nach unten und dass insoweit die Abwägung keinesfalls einseitig zugunsten des Unternehmers erfolgen dürfe. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte ein Tankstellenhalter den Handelsvertretervertrag aus Altersgründen nach einer Vertragsdauer von 17 Jahren gekündigt.
Die Richter des 5. Senates des OLG Oldenburg betonten in ihrem Urteil, dass die im Rahmen der Prognose gemäß § 89b Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Billigkeitsprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls stattzufinden habe. Als Abwägungskriterien seien die gesamten persönlichen und sachlichen Besonderheiten des Einzelfalls einzubeziehen. Dazu gehörten auch die persönlichen Verhältnisse des Handelsvertreters, wie u.a. Alter, Gesundheitszustand, Erwerbsfähigkeit. Dabei sei in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung der Belange des Handelsvertreters und des Unternehmers der Billigkeit entspreche. Nach der Wertung der im Einzelfall anwendbaren Billigkeitskriterien seien diese in einer Gesamtschau gegeneinander abzuwägen. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Vor- und Nachteile auf jeder Seite sei zu prüfen, ob die Interessen einer Partei so sehr überwiegten, dass sie eine Erhöhung oder Minderung des rein rechnerisch ermittelten Ausgleichsanspruchs aus sachlichen Gründen erforderten. Die vom beklagten Mineralölkonzern behauptete Erheblichkeit der Standortvorteile sei zwar insoweit ein berechtigter Prüfungsaspekt, reiche in der konkreten Konstellation jedoch nicht aus, um den Ausgleichsanspruch weiter zu kürzen. Insbesondere auch der persönliche Hintergrund des Handelsvertreters – 66 Jahre alt, 17 Jahre Tätigkeit für die Beklagte – müsse in die Billigkeitsabwägung einbezogen werden. Ein höherer Abzug als 10 % im Rahmen der Billigkeitsprüfung – dieser gestützt auf die „Sogwirkung“ der Marke, Preisgestaltung und Lage der Tankstelle – sei im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht gerechtfertigt.
Eine vom Nachfolger an den Mineralölkonzern geleistete Einstandszahlung sei allerdings nicht anspruchserhöhend zu berücksichtigen. Die Richter des OLG Oldenburgs lehnten dies mit der Begründung ab, dass weder die Gesetzessystematik noch die Billigkeit eine solche Erhöhung gebieten würden, selbst wenn diese für die Überlassung des Kundenstammes gezahlt worden sei. Ebenso wenig wie an den Nachfolger gezahlte Provisionen zu einer Kürzung des Ausgleichsanspruchs führen dürften, rechtfertige eine Zahlung des Nachfolgers an den Unternehmer eine Erhöhung des Ausgleichsanspruchs des Vorgängers.
Praxishinweis:
Das Urteil bestätigt, dass bei der Berechnung des Handelsvertreterausgleichs eine isolierte Betrachtung wirtschaftlicher Faktoren nicht ausreicht. Auch die persönlichen Umstände des Handelsvertreters wie u.a. Alter, Länge der Vertragsdauer, Gesundheitszustand sind in eine umfassende Billigkeitsprüfung einzubeziehen.
Zu diesem Urteil gibt es noch eine kleine Zusammenfassung. Diese können Sie sich HIER anhören.
Die Beratung im Vertriebsrecht insbesondere auch die Vertragsprüfung ist eine der wesentlichen Leistungen der CDH Organisation für Mitglieder. Nähere Informationen unter:
www.cdh.de/leistungen/beratung
Die Entscheidung ist für eine Veröffentlichung vorgesehen bzw. wurde bereits in der Rechtsprechungssammlung HVR veröffentlicht, die unter www.cdh-wdgmbh.de bestellt werden kann.