Betreibt ein Vertriebsmittler als rechtlich und wirtschaftlich selbständiger Unternehmer, Ladenflächen auf Rechnung eines anderen Unternehmens, die von diesem angemietet werden, wobei er das Personal zu stellen und die Läden zu vorgegebenen Öffnungszeiten offen zu halten, das Kassensystem des Unternehmens und dessen Warenwirtschaftssystem zu benutzen sowie sämtliche Einnahmen auf ein Konto des anderen Unternehmens einzuzahlen hat, während er im Gegenzug eine monatliche Fixvergütung nebst Umsatzbeteiligung erhält, liegt ein sog.  Kommissionsagenturverhältnis vor. Einem Kommissionsagenten kann in entsprechender Anwendung des § 87c Abs. 2 HGB im Grundsatz ein Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs zustehen; gleiches gilt für den Handelsvertreterausgleich entsprechend § 89b HGB.

 Urteil des OLG München vom 20. Dezember 2017 – Aktz. 7 U 260/17

 

Die Parteien stritten um Ansprüche im Zusammenhang mit einem beendeten Vertriebsverhältnis. Der Kläger betrieb auf der Grundlage jeweils gesonderter Verträge für die Beklagte insgesamt sieben Geschäfte, in denen Mode der Marke der Beklagten veräußert wurde.

Die vertragliche Beziehung zwischen den Parteien wurde vom OLG München als Kommissionsagenturverhältnis im Sinne von § 383 ff. HGB beurteilt.

Nach den vertraglichen Regelungen sollte der Kläger die Läden der Beklagten zwar auf deren Rechnung, aber im eigenen Namen führen. Damit sei er nicht als Handelsvertreter im Sinne von § 84 HGB damit betraut gewesen, Geschäfte für die Beklagte zu vermitteln oder in deren Namen abzuschließen.

Dabei komme es nicht darauf an, wie der Kläger nach außen gegenüber den Kunden aufgetreten ist. Denn das Innenverhältnis zwischen den Parteien beurteilt sich allein nach der vertraglichen Regelung und nicht nach dem Auftreten des Klägers im Außenverhältnis und dem Verständnis der Kunden. Insofern greifen auch die Erwägungen der Klagepartei nicht durch, dass der Vertrag diesbezüglich anders „gelebt“ worden sei als vereinbart; denn diese Argumentation würde gerade wieder auf das nicht maßgebliche Auftreten des Klägers im Außenverhältnis abstellen.

Der Kläger war auch in das Vertriebssystem der Beklagten eingebunden. Die Vorgabe der Preise, das vorinstallierte Kassensystem und die Einbindung in das Warenwirtschaftssystem belegten dies eindeutig.

Da er nach dem Vertrag im eigenen Namen handeln musste, war er nicht nur mit der Vermittlung, sondern (sogar) mit dem Abschluss von Geschäften (auf Rechnung der Beklagten) betraut, was der intensivst denkbaren Form des Vertriebs entspricht. Dass es sich um Selbstbedienungsläden handelte, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle; der Kläger erfüllte seine Vertriebsfunktion – nicht anders als der Tankstellenhalter – allein schon durch das Offenhalten der Geschäfte.

Soweit die Beklagte einwendet hatte, dass der Kläger keine Provision, sondern eine „variable Vergütung“ bekomme, geht diese Argumentation nach Ansicht der Richter des OLG München an Art. 6 Abs. 2 der Handelsvertreterrichtlinie vorbei. Hiernach ist Provision jeder Teil der Vergütung, der nach Zahl und Wert der Geschäfte schwankt; dass eine 17prozentige Umsatzbeteiligung, die dem Kläger vertraglich zustand, hiernach als Provision zu werten ist, muss sich aufdrängen. Einer Einstufung als Handelsvertreter oder Kommissionsagent steht nicht entgegen, wenn daneben eine fixe Vergütung gezahlt wird; letzteres ist nach der Kenntnis des ständig mit Handelsvertretersachen befassten Senats auch und gerade beim „reinen“ Handelsvertreter nicht unüblich (z.B. Bürokostenzuschüsse und ähnliches).

Fehl gehe auch der Einwand der Beklagten, der Kläger könne deswegen nicht Handelsvertreter (bzw. Kommissionsagent) sein, weil die Beklagte selbst Handelsvertreterin sei. Einem Handelsvertreter ist es unbenommen, Untervertreter einzusetzen. Dass die Beklagte gegenüber einem (oberen) Geschäftsherrn selbst Handelsvertreterin sein mag, besagt daher für das Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagter nichts.

Dem Kläger stehe als Kommissionsagent auch jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden in entsprechender Anwendung des § 87 c Abs. 2 HGB im Grundsatz ein Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs zu. Die rechtliche und wirtschaftliche Stellung eines Kommissionsagenten, der Waren des Geschäftsherrn in den Räumen des Geschäftsherrn auf dessen Rechnung, nach dessen Vorgaben und unter Benutzung von dessen Kassensystem veräußert, ist derjenigen eines Tankstellenhalters vergleichbar. Ein Buchauszug dient dem Berechtigten zur Überprüfung der Abrechnungen des Geschäftsherrn. Dieses Bedürfnis nach Überprüfung besteht für den auf Provisionsbasis arbeitenden Ladenbetreiber gleichermaßen, unabhängig davon, ob er Kraftstoffe oder Modeartikel vertreibt.

Auch kann dem Kläger als Kommissionsagenten grundsätzlich ein Handelsvertreterausgleich entsprechend § 89 b HGB zustehen. Die entsprechende Anwendung der Vorschrift rechtfertigt sich beim Kommissionsagenturvertrag (anders als beim Franchisevertrag und ähnlich wie beim Vertragshändler) vor allem dadurch, dass der Kommissionär in die Absatzorganisation eingebunden ist, auf fremde Rechnung tätig wird und von daher einem Handelsvertreter vergleichbar erscheint.

Die Pflicht zur Überlassung des Kundenstammes musste nach Auffassung des OLG München auch nicht ausdrücklich vertraglich geregelt werden; sie ergibt sich schon aus § 384 Abs. 2 HGB. Für die tatsächliche Überlassung des Kundenstammes reicht es damit aus, wenn die Beklagte während der Vertragslaufzeit die Daten erhalten hat, die sie für eine Übernahme des Kundenstammes benötigt. Zwar muss dies so geschehen, dass die Vorteile des Kundenstammes sofort und ohne weiteres nutzbar sind. Das Geschäft wurde in von der Beklagten angemieteten Räumen betrieben. Die Beklagte, die die Geschäfte nach Vertragsende in diesen Räumen fortgeführt hat, oder dies jedenfalls konnte, konnte daher auf die Stammkunden (zu diesem Begriff näher unten) weiterhin zugreifen; soweit Kundendaten vorhanden waren, lagen diese der Beklagten aufgrund des vom Kläger zu verwendenden Kassensystems der Beklagten ohnehin vor.

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