Der Handelsvertreter behält grundsätzlich auch dann seinen Provisionsanspruch, wenn der vertretene Unternehmer das von ihm vermittelte Geschäft nicht ausführt, es sei denn der Unternehmer hat die Nichtausführung nicht zu vertreten. Bei der Beurteilung des Vertretenmüssens im Sinne von § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB sind die Interessen von Unternehmer und Handelsvertreter voneinander abzugrenzen. Denn die Treuepflicht ist keine einseitig den Unternehmer treffende Pflicht, vielmehr trifft den Handelsvertreter gegenüber dem Unternehmer seinerseits eine Treuepflicht.

Der Unternehmer trägt allerdings die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Nichtausführung auf Umständen beruht, die er nicht zu vertreten hat. Dabei kann der vertretene Unternehmer ohne Nachteile bei § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB auf die Zurückweisung einer aus Rechtsgründen unwirksamen Kündigung des Kunden (in diesem Fall ein Versicherungsnehmer) verzichten, wenn eine Beitreibung der Prämien (hier: wegen Staatenimmunität) absehbar aussichtslos gewesen wäre.

Der Unternehmer (in diesem Fall der Versicherer) kann entweder eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen, die dann nach Art und Umfang ausreichend sein müssen, oder sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten. Unterlässt der Versicherer in beider Hinsicht ausreichende Nachbearbeitungsmaßnahmen, muss er sich so behandeln lassen, als sei eine erfolgreiche Nachbearbeitung erfolgt und als sei der Provisionsanspruch des Vertreters endgültig entstanden.

KG Berlin, Beschluss vom 4. Juni 2021 Aktz. 2 U 5/18

Die Klägerin, eine Vertriebsgesellschaft der E.-Gruppe in Deutschland nahm den Beklagten, ihren ehemaligen Versicherungsvertreter, auf Rückzahlung von Abschlussprovisionen betreffend später nicht weiter ausgeführter privater Krankenversicherungsverträge in Anspruch, welche Angehörige einer Botschaft eines auswärtigen Staates in Deutschland abgeschlossen hatten. Die Richter des Kammergerichtes Berlin sahen die Klage als begründet an.

Die Vertriebsgesellschaft habe ihren ehemaligen Versicherungsvertreter erhebliche Abschlussprovisionen betreffend später nicht weiter ausgeführter Krankenversicherungsverträge gewährt. Hierauf seien gemäß § 92 Abs. 2 HGB unter anderem die Regelungen des § 87a HGB anzuwenden. Insoweit könne sie einen Rückgewähranspruch in entsprechender Anwendung des § 87a Abs. 2 Halbs. 2 HGB in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB geltend machen, denn zum einen sei der entsprechende Stornohaftungszeitraum noch nicht abgelaufen und die Nichtausführung beruhe auf Umständen, die von der Vertriebsgesellschaft nicht zu vertreten gewesen seien.

Die Regelung in § 87a Abs. 3 Satz 1 HGB gebe dem Handelsvertreter einen unentziehbaren Anspruch auf Provision, wenn feststehe, dass der Unternehmer das Geschäft nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden sei. Nach § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB habe der Versicherungsvertreter nur dann keinen Anspruch auf Provision, wenn und soweit der Unternehmer das vermittelte Geschäft aus von ihm nicht zu vertretenden Umständen nicht ausführt habe. Zu vertreten im Sinne des § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB habe der Unternehmer dabei diejenigen Umstände, auf denen die Nichtausführung des Geschäfts beruhe, nicht nur dann, wenn ihm oder seinen Erfüllungsgehilfen insoweit persönliches Verschulden zur Last falle, sondern darüber hinaus auch dann, wenn sie seinem unternehmerischen oder betrieblichen Risikobereich zuzuordnen seien, wobei letzteres auch auf der Übernahme eines Beschaffungsrisikos oder eines sonstigen Risikos beruhen könne. Dabei sei eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter angemessener Berücksichtigung wirtschaftlicher Gegebenheiten geboten.

Bei alledem seien nicht nur Rechtsgründe, die unmittelbar zur Vertragsbeendigung geführt haben, sondern alle vom Unternehmer zu vertretenden rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen, auf denen die Nichtausführung des Vertrags beruhe. Der Unternehmer trage die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Nichtausführung auf Umständen beruhe, die er nicht zu vertreten habe.

Nach diesem Maßstab könne im Streitfall ein Vertretenmüssen im Sinne von § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB nicht deshalb angenommen werden, weil die Klägerin die von der Botschaft ausgesprochene Kündigung herausgefordert hätte, sie die Kündigung der Botschaft als unwirksam hätte zurückweisen müssen oder sie die gebotene Nachbearbeitung des Vertragsverhältnisses unterlassen oder verhindert habe.

Ein Vertretenmüssen im Sinne von § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB könne zunächst nicht angenommen werden, weil die Klägerin die von der Botschaft ausgesprochene Kündigung herausgefordert hätte und diese infolgedessen ihrem (der Klägerin) unternehmerischem Risikobereich zuzurechnen sei.

Zwar unterliege der Unternehmer in seinem Verhältnis zum Handelsvertreter durchaus einer sich aus § 242 BGB ergebenden Treuepflicht. Diese verpflichte ihn dazu, nach den Umständen des Einzelfalles Rücksicht auf das Provisionsinteresse des Versicherungsvertreters zu nehmen. Dabei gehe die Treuepflicht jedoch nicht so weit, dass der Unternehmer im Interesse des Handelsvertreters gegen seine eigenen Interessen handeln müsse. Denn die Treuepflicht sei keine einseitig den Unternehmer treffende Pflicht, vielmehr treffe den Handelsvertreter gegenüber dem Unternehmer seinerseits eine Treuepflicht. Diese Abgrenzung ergebe im Streitfall, dass die Klägerin nicht aus Treuegründen die Obliegenheit traf, den Botschafter – mit einem bestehenden hohen Gesundheitsrisiko – zulasten der Gemeinschaft der bei ihr Versicherten aufzunehmen, um das Provisionsinteresse des Beklagten zu wahren.

Ein Vertretenmüssen im Sinne von § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB könne auch nicht mit der Erwägung angenommen werden, dass die Klägerin die Kündigungserklärung der Botschaft als unwirksam hätte zurückweisen müssen.

Allerdings bestehe gegenüber dem Handelsvertreter für den Unternehmer die aus dem Handelsvertretervertrag oder unmittelbar aus dem Gesetz folgende Obliegenheit, seine vertraglichen Rechte aus dem abgeschlossenen Vertrag mit dem Kunden wahrzunehmen und auf seine Kosten durchzusetzen. Seinen Leistungs- und Erfüllungsanspruch müsse der Unternehmer daher einklagen, zur Insolvenztabelle anmelden sowie notfalls vollstrecken, wenn nicht eine Klage ausnahmsweise unzumutbar oder eine Vollstreckung auf unabsehbare Zeit aussichtslos sei. Finde sich der Unternehmer dagegen aus Kulanz zu einer Stornierung des Auftrags bzw. zu einer Rücknahme der bereits gelieferten und gegebenenfalls sogar bereits bezahlten Ware bereit, liege ein Fall der vom Unternehmer zu vertretenden Nichtausführung vor.

Nach diesem Maßstab habe die Klägerin das Ausbleiben der Prämienzahlungen für die Zeit nach dem 31. Dezember 2014 nicht deswegen zu vertreten, weil sie es verabsäumt hätte, die von der Botschaft erklärte Kündigung als unwirksam zurückzuweisen. Soweit tatsächlich betreffend einen Teil der Verträge die Mindestvertragslaufzeit am 31. Dezember 2014 noch nicht abgelaufen gewesen sei, habe die Klägerin die Rechte des Beklagten bereits abschließend dadurch gewahrt, dass sie im Rahmen der Rückforderungsberechnung unterstellte, diese Verträge seien bis zum Ablauf ihrer Mindestvertragslaufzeit weitergeführt worden. Hierdurch habe der Beklagte also keinen Nachteil erlitten. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin die Kündigung der Botschaft tatsächlich als rechtsunwirksam zurückzuweisen gehabt hätte. Jedenfalls sei nicht ersichtlich, inwieweit die Klägerin durch eine Zurückweisung der Kündigung als unwirksam vorliegend das Provisionsinteresse des Beklagten hätte wahren können.

Es sei lebensnah davon auszugehen, dass die Botschaft im Falle eines entsprechenden Konfliktes den üblichen Zahlungsaufforderungen des Beklagten nicht mehr wie bislang Folge geleistet hätte. Es lasse sich nicht feststellen, dass die Klägerin in diesem Fall zur klageweisen Verfolgung und zwangsweisen Beitreibung etwaiger Prämienansprüche verpflichtet gewesen wäre. Denn der Versicherer sei nicht zur Rechtsverfolgung verpflichtet, wenn diese absehbar aussichtslos sei.

Ein Vertretenmüssen im Sinne von § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB könne schließlich auch nicht mit der Erwägung angenommen werden, dass die Klägerin vorliegend die gebotene Nachbearbeitung des Vertragsverhältnisses unterlassen oder verhindert habe.

Die Nichtausführung eines Versicherungsvertrags sei vom Unternehmer allerdings nur dann nicht im Sinne des § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB zu vertreten, wenn er sich in ausreichender Weise um die Rettung stornogefährdeter Verträge bemüht habe. Dem Versicherer obliege es, nachdem er den ihm angetragenen Vertrag mit dem Kunden abgeschlossen habe, bei sich abzeichnenden provisionsrelevanten Gefährdungen des Bestands des Versicherungsvertrags sich im Wege der erforderlichen Nacharbeit um die Rettung des auflösungsgefährdeten Vertrags ausreichend zu bemühen.

Art und Umfang der dem Versicherer obliegenden Nachbearbeitung richteten sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Der Versicherer habe die Wahl, die Nachbearbeitung selbst vorzunehmen oder sie dem Vertreter zu überlassen. Konkret könne er entweder eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen, die dann freilich nach Art und Umfang ausreichend sein müssen, oder sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten. Unterlasse der Versicherer in beider Hinsicht ausreichende Nachbearbeitungsmaßnahmen, müsse er sich entsprechend dem Rechtsgedanken des § 87a Abs. 3 Satz 1 HGB und des § 162 Abs. 1 BGB sowie wegen der gegenüber dem Versicherungsvertreter bestehenden Treuepflicht so behandeln lassen, als sei eine erfolgreiche Nachbearbeitung erfolgt und als sei der Provisionsanspruch des Vertreters endgültig entstanden.

Bei alledem treffe den Versicherer die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er eine ordnungsgemäße Nachbearbeitung des notleidenden Versicherungsvertrages vorgenommen habe. Der Nachweis von Nachbearbeitungsbemühungen könne vom Versicherer allerdings dann nicht verlangt werden, wenn die ausstehenden Zahlungsbeträge verhältnismäßig geringfügig seien.

Nach diesem Maßstab sei die Klägerin ihrer Pflicht zur Stornogefahrabwehr schon in ausreichendem Maße dadurch nachgekommen, dass sie dem Beklagten Gelegenheit gegeben habe, den infolge der erklärten Kündigung notleidend gewordenen Vertrag mit der Botschaft selbst nachzubearbeiten. Die vor dem 14. Oktober 2014 erfolgte Mitteilung der Stornogefahr sei auch nicht deswegen unzureichend, weil die Klägerin der Botschaft zu diesem Zeitpunkt die Kündigung bereits bestätigt gehabt hätte.

——————————————————————————————————————————————————————————————————

Die Beratung im Vertriebsrecht insbesondere auch die Vertragsprüfung ist eine der wesentlichen Leistungen der CDH Organisation für Mitglieder. Nähere Informationen unter: http://www.cdh.de/leistungen/beratung

Der Beschluss ist für eine Veröffentlichung in der Rechtsprechungssammlung HVR-Online vorgesehen, die unter http://www.cdh-wdgmbh.de bestellt werden kann.