Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass nach Art. 86 Abs. 2 des Austrittsabkommens, das am 1. Februar 2020 in Kraft getreten ist, für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs, die – wie hier – vor Ende des Übergangszeitraums (31. Dezember 2020), vorgelegt werden, weiterhin zuständig ist.

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff „Verkauf von Waren“ in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass er die elektronische Lieferung eines Computerprogramms an einen Kunden gegen Bezahlung einschließen kann, wenn diese Lieferung durch die Erteilung einer unbefristeten Lizenz zur Nutzung des Programms ergänzt wird.

Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 bestimmt drei notwendige und hinreichende Voraussetzungen dafür, dass eine Person als „Handelsvertreter“ eingestuft werden kann. Erstens muss diese Person die Eigenschaft des selbständigen Gewerbetreibenden haben. Zweitens muss sie vertraglich dauerhaft an den Unternehmer gebunden sein. Drittens muss sie eine Tätigkeit ausüben, die darin besteht, den Verkauf oder den Ankauf von Waren für den Unternehmer zu vermitteln oder diese Geschäfte in dessen Namen und für dessen Rechnung abzuschließen.

Im vorliegenden Fall steht ausschließlich die dritte dieser Voraussetzungen in Frage, soweit sie den „Verkauf von Waren“ für den Unternehmer betrifft. Hierzu ist festzustellen, dass die Richtlinie 86/653 den Begriff „Verkauf von Waren“ nicht definiert und zur Bedeutung dieses Begriffs nicht auf das nationale Recht verweist.

Unter diesen Umständen muss der Begriff „Verkauf von Waren“ in Anbetracht der Anforderungen der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten. Er stellt somit einen autonomen Begriff des Unionsrechts dar, dessen Bedeutung nicht anhand von im Recht der Mitgliedstaaten bekannten Begriffen oder auf nationaler Ebene vorgenommenen Einstufungen ermittelt werden kann.

Hierzu ist die Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die vom Unionsrecht nicht definiert werden, entsprechend ihrem üblichen Sinn im gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang sie verwendet werden und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehören.

Anhand dieser Gesichtspunkte ist festzustellen, ob der Begriff „Verkauf von Waren“ in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 die elektronische Lieferung eines Computerprogramms an einen Kunden gegen Bezahlung einschließen kann, wenn diese Lieferung durch die Erteilung einer unbefristeten Lizenz zur Nutzung des Programms ergänzt wird.

Zum Wortlaut der Bestimmung ist darauf hinzuweisen, dass sie allgemein den Begriff „Verkauf von Waren“ verwendet, ohne die Wörter „Verkauf“ oder „Waren“ zu definieren, wobei diese im Übrigen auch in keiner anderen Bestimmung der Richtlinie definiert werden.

Erstens sind unter dem Begriff „Waren“ nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Erzeugnisse zu verstehen, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.

Daraus ergibt sich, dass dieser Begriff aufgrund seiner allgemeinen Definition ein Computerprogramm wie das in Rede stehende Programm einschließen kann, da es einen Geldwert hat und Gegenstand von Handelsgeschäften sein kann.

Darüber hinaus ist klarzustellen, dass ein Programm unabhängig von dem Umstand, ob es auf einem physischen Datenträger oder – wie im vorliegenden Fall – elektronisch per Download geliefert wird, als „Ware“ eingestuft werden kann.

Zum einen lässt die Verwendung des Begriffs „Waren“ in den verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie keine Unterscheidung danach erkennen, ob der betreffende Gegenstand körperlicher oder nicht körperlicher Natur ist.

Zum anderen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Veräußerung eines Computerprogramms auf CD-ROM oder DVD und die Veräußerung eines solchen Programms durch Herunterladen aus dem Internet wirtschaftlich gesehen vergleichbar sind, da die Online-Übertragung funktionell der Aushändigung eines materiellen Datenträgers entspricht.

Daher kann der Begriff „Waren“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 ein Computerprogramm einschließen, unabhängig von dem Datenträger, auf dem es geliefert wird.

Zweitens ist „Verkauf“ nach einer allgemein anerkannten Definition eine Vereinbarung, nach der eine Person ihre Eigentumsrechte an einem ihr gehörenden körperlichen oder nicht körperlichen Gegenstand gegen Zahlung eines Entgelts an eine andere Person abtritt.

Im besonderen Fall des Verkaufs einer Kopie eines Computerprogramms hat der Gerichtshof entschieden, dass das Herunterladen einer Kopie eines Computerprogramms und der Abschluss eines Lizenzvertrags über die Nutzung dieser Kopie ein unteilbares Ganzes bilden. Das Herunterladen einer Kopie eines solchen Programms wäre nämlich sinnlos, wenn diese Kopie von ihrem Besitzer nicht genutzt werden dürfte. Diese beiden Vorgänge sind also im Hinblick auf ihre rechtliche Einordnung in ihrer Gesamtheit zu prüfen.

So ist der Gerichtshof davon ausgegangen, dass mit der Zugänglichmachung einer Kopie eines Computerprogramms und dem Abschluss eines entsprechenden Lizenzvertrags wodurch diese Kopie für die Kunden gegen Zahlung eines Entgelts, das es dem Urheberrechtsinhaber ermöglichen soll, eine dem wirtschaftlichen Wert der Kopie des ihm gehörenden Werkes entsprechende Vergütung zu erzielen, dauerhaft nutzbar gemacht werden soll das Eigentum an dieser Kopie übertragen wird.

In Anbetracht des Wortlauts von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 ist folglich davon auszugehen, dass die elektronische Lieferung eines Computerprogramms an einen Kunden gegen Bezahlung unter den Begriff „Verkauf von Waren“ fallen kann, wenn diese Lieferung durch die Erteilung einer unbefristeten Lizenz zur Nutzung des Programms ergänzt wird.

Diese Auslegung wird durch den Zusammenhang bestätigt, in den sich dieser Artikel einfügt. Art. 1 Abs. 3 und Art. 2 der Richtlinie 86/653 sehen nämlich bestimmte klar umgrenzte Ausnahmetatbestände vom Begriff „Handelsvertreter“ bzw. vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie vor.

Von diesen Ausnahmetatbeständen bezieht sich jedoch keiner auf die Art des „Verkaufs von Waren“, die der Gegenstand der Tätigkeit des in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie genannten Handelsvertreters ist.

Ein „Verkauf von Waren“ der im vorliegenden Urteil beschriebenen Art stellt zudem weder ein Hindernis dafür dar, dass die dem Handelsvertreter bzw. dem Unternehmer zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Verpflichtungen nach den Art. 3 bis 5 der Richtlinie 86/653 erfüllt werden, noch dafür, dass der Handelsvertreter eine Art. 6 der Richtlinie entsprechende Vergütung erhält.

Diese Auslegung wird schließlich durch die Ziele der Richtlinie 86/653 bestätigt, die gemäß ihren Erwägungsgründen 2 und 3 die Interessen der Handelsvertreter gegenüber den Unternehmern schützen, die Sicherheit des Handelsverkehrs fördern und den Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern soll, indem die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Handelsvertretungen angeglichen werden.

Insoweit würden die praktische Wirksamkeit und der durch die Richtlinie 86/653 gewährte Schutz beeinträchtigt, wenn die Lieferung eines Programms unter den im vorliegenden Urteil genannten Umständen von dem Begriff „Verkauf von Waren“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie ausgenommen würde. Eine solche Auslegung dieser Bestimmung würde nämlich Personen von diesem Schutz ausnehmen, die mit Hilfe moderner Technologien vergleichbare Tätigkeiten wie Handelsvertreter erbringen, deren Tätigkeit im Verkauf körperlicher Waren, u. a. durch Kundenwerbung besteht.

 


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