Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass von dem dem selbständigen Handelsvertreter durch diese Bestimmung eingeräumten Recht, eine Provision für ein Geschäft zu erhalten, das während des Vertragsverhältnisses mit einem Dritten abgeschlossen wurde, den dieser Handelsvertreter bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte, vertraglich abgewichen werden darf. 

EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2022 Aktenzeichen C – 64/21

Typischerweise handelt es sich bei Geschäften gleicher Art um Nachbestellungen und Folgeaufträge auf deren Auftragsvermittlung der Handelsvertreter keinen unmittelbaren Einfluss mehr nimmt, obwohl er die betreffenden Kunden zuvor für das vertretene Unternehmen als Neukunden für diese Art der Geschäfte geworben hatte. Fraglich war, ob dieser Provisionsanspruch einen dispositiven Charakter hat und somit vertraglich ausgeschlossen werden kann.

Nach Art. 7 Abs. 1 der Handelsvertreterrichtlinie dessen Wortlaut § 87 Abs.1 S.1 des deutschen HGB entspricht, hat der Handelsvertreter für ein während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenes Geschäft Anspruch auf Provision, wenn der Geschäftsabschluss auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist oder wenn das Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen wurde, den er bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte.

Die Verwendung der Konjunktion „oder“ deute zwar laut der Entscheidung des EuGH bereits darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber den Parteien eine Wahlmöglichkeit bieten wollte. Dieser Formulierung lasse sich jedoch nicht entnehmen, ob die Bestimmung dispositiven Charakter habe oder nicht. Aus der allgemeinen Systematik der Handelsvertreterrichtlinie ergebe sich, dass der Unionsgesetzgeber, wenn von einer ihrer Bestimmungen nicht abgewichen werden dürfe, in den betreffenden Bestimmungen ausdrücklich darauf hingewiesen hat. Dieses sei bei der betreffenden Regelung aber gerade nicht erfolgt. Ebenfalls sei festzustellen, dass eine Auslegung dahingehend, dass diese Vorschrift einen zwingenden Charakter habe, nicht zwangsläufig zu einem verstärkten Schutz der Handelsvertreter führen würde. Denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass in einem solchen Fall bestimmte Unternehmer die Kosten für die Provision – die notwendigerweise für Geschäfte anfiele, die während des Vertragsverhältnisses mit einem Dritten abgeschlossen werden, den der Handelsvertreter bereits vorher für Geschäfte gleicher Art als Kunden geworben hatte – ausgleichen. Sei es, dass die Unternehmer beispielsweise den Satz der Basisprovision herabsetzen, zuvor erstattete Aufwendungen oder andere Vergütungsbestandteile beschränken bzw. ausschließen oder gar davon absehen, mit einem Handelsvertreter ein Vertragsverhältnis zu begründen. Auch dieses sprach aus Sicht des EuGH dafür, den dispositiven Charakter der betreffenden Regelung anzunehmen.

 

 

Die Beratung im Vertriebsrecht insbesondere auch die Vertragsprüfung ist eine der wesentlichen Leistungen der CDH Organisation für Mitglieder. Nähere Informationen unter:
http://www.cdh.de/leistungen/beratung

Das Urteil des EuGH ist für eine Veröffentlichung in der Rechtsprechungssammlung HVR-Online vorgesehen, die unter http://www.cdh-wdgmbh.de bestellt werden kann.