Stellen Sie sich vor, Sie haben nach dem Links­abbiegen nicht mehr eine, sondern zwei Fahrspuren zur Auswahl. Wie schnell müssen Sie sich entscheiden? Diese Frage beschäftigte vor nicht allzu langer Zeit sogar ein Gericht.

Wer als Abbieger mehrere Fahrspuren zur Auswahl hat, muss sich als Erster in einer Reihe von Autos nicht sofort für eine davon entscheiden. Das Fahrbahn-Wahlrecht eines voran­fahrenden Autos endet vielmehr erst nach einigen Metern auf der neuen Straße. Wer dies als Hintermann nicht abwarten kann und rechts überholt, haftet nach einer Kollision für den Schaden. Das zeigt ein Urteil des Kammer­gerichts Berlin (Az.: 22 U 18/19).

Kollision beim Abbiegen durch Spurwechsel
Im konkreten Fall ging es um zwei Autofahrer, die zunächst hintereinander auf einer Links­abbieger­spur vor einer Ampel warteten. Die Straße, in die sie einbiegen wollten, hatte zwei Fahr­streifen. Die Ampel schaltete auf Grün und das erste Auto fuhr los. Doch der Hintermann be­schleunigte stark, fuhr rechts vor und besetzte den rechten der neuen Fahr­streifen. In diesem Moment wollte diesen aber auch der ursprünglich Voraus­fahrende nutzen – es kam zur Kollision.

Versicherung lehnte Schadensersatzforderung ab
Später forderte der Fahrer des zunächst hinten fahrenden Wagens Schaden­ersatz. Sein Argument: Die Kollision sei bei einem Fahr­streifen­wechsel des anderen Beteiligten geschehen. Doch dessen Versicherung wollte nicht für den Schaden aufkommen und erklärte, es habe gar keinen Wechsel des Fahrs­treifens gegeben. Vielmehr dürfe der Abbiegende wählen, in welcher von mehreren Fahrbahnen er weiter­fährt.

Vorausfahrenden hat Fahrbahn-Wahlrecht
Die Sache ging vor Gericht, und das gab dem Voraus­fahrenden Recht. Wer abbiegt, hat dem Urteil zufolge ein Wahlrecht, wenn es mehrere weiterführende Fahr­streifen gibt. Auch ein nach­folgendes und stark beschleunigendes Fahrzeug, das eine der Spuren besetzt, beschneide dieses Wahlrecht eines voran­fahrenden nicht, so das Kammer­gericht. Das Fahrbahn-Wahlrecht ende erst, wenn sich der Voraus­fahrende klar entschieden hat – und das sei frühestens 15 bis 20 Meter nach Beginn der Fahr­streifen­markierung der Fall. Dem Gericht galt der Fahrer des hinten fahrenden Autos daher als Allein­verursacher des Unfalls.

(Kammergericht Berlin, Urteil vom 18.11.2019, Az. 22 U 18/19)